Manches Mal erblickt man auf Hochkien drei Gestalten. Das eine ist ein schwarzer Pudel, der zweite der Höllenfürst leibhaftig und der dritte ist der ehemalige Bergvogt von Kien, der zu Lebzeiten in Spiez gewohnt hat. Nicht jeder sieht zu jeder Zeit die drei Gestalten. Nur in bösen Jahren, oder wenn auf der Alp ein Unglück bevorsteht, ziehen sie vorüber.
Einst sass der Bergvogt am Herdfeuer und dachte darüber nach, wie er in den Besitz der ganzen Alp gelangen könnte, die er mit seinem geistesschwachen Bruder teilte. Da stand auf einmal ein schwarzer Pudel vor ihm, den er sofort als Sendboten des Teufels erkannte. Das kam dem Bergvogt gerade recht und er sagte zum Pudel: «Wenn dein Herr mir diese Alp von hundert Kuhrechten verschaffen will, so kann er meine Seele haben. » Kaum hatte er das gesagt, stand schon der Leibhaftige vor ihm. «Hundert Klafter ist die Drosselfluh hoch», begann der Teufel, «und dort sitzt dein blöder Bruder jeden Morgen an der Sonne. Wenn er hinunterstürzt, gehören auch seine fünfzig Kuhrechte dir. Wir sind uns doch einig, Bergvogt! Deine Hand darauf und deine Seele!»
Der Bergvogt willigte ein. Am anderen Morgen waren die Steine am Fusse der Drosselfluh von Blut gerötet, und der Bergvogt legte seine Hand auf die fünfzig verwaisten Kuhrechte seines toten Bruders. Doch ging es nicht lange, da verlor der Bergvogt den Verstand und sprang über die Drosselfluh in die Tiefe. Seither sieht man den Bergvogt, den schwarzen Pudel und den Teufel über die Alpen auf Hochkien wandeln. Zur Rechten der Schwarze, zur Linken der Pudel und in der Mitte der Bergvogt.
Aus: P. Keckeis, M. Waibel, Sagen der Schweiz. Bern, Zürich 1986
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch