Im Tale im Grund wohnte ein angesehener Mann. Er hatte drei schöne Töchter und war sehr reich. Ihm gehörte das ganze Urbach-Tal mit den Alpen, welche darüber liegen. Diese Alpen waren weidenreiche Triften mit Mutteren und Adelgras.
Im Frühling zog er mit seiner Herde, seiner Frau und seinen drei Töchtern auf die Alp. Alljährlich besuchte sie ein Priester auf ihrer abgelegenen Alp, welcher Familie, Alp und Herde segnete. Immer fand er in den Hütten freundliche Aufnahme. Nicht nur erhielt er das Beste, was von der «Kuh kam», sondern Käse und Ziger, was immer er tragen mochte.
Der alte Mann starb. Schon viele Jahre war ihm die Frau vorangegangen. Seine drei Töchter wurden Besitzerinnen seiner Güter. Aber sie buhlten mit liederlichen Gesellen und vernachlässigten ihre Herde. Als der Priester zu ihnen auf die Alp kam, seinen Segen zu spenden, verlachten sie ihn. Sie setzten ihm saure, mit Asche bestreute Milch vor, und statt Käse und Ziger luden sie ihm Steine in seine Säcke. Empört eilte er den Berg hinunter, um noch rechtzeitig sein Häuschen zu erreichen. Kaum hatte er die Alp hinter sich gelassen, erhob sich ein graues Wölklein an der Spitze der Engelhörner, welches sich vermehrte. Mit einbrechender Nacht bedeckte ein furchtbares Wetter mit Donner und Blitz das ganze Gebirge, welches das Urbachtal umschliesst, und verwandelte die Alp in Rüfe und Karrenfelder. Die schöne Herde samt den Alphütten war vom Erdboden verschwunden. Auch von den drei unzüchtigen Mädchen hat man nichts mehr gesehen. Sie waren verflucht, und bis auf diesen Tag sind alle drei von dem Fluch noch unerlöst.
Die eine ist am Gauligletscher und heisst das Gauliweiblein. Ein schwarzes Hündchen begleitet sie. Sie ruft oft, namentlich bei Sturm und Wind, den Sennen in das Urbachtal das bekannte «Hojo, hoho!» hinunter.
Die zweite ist das Engstlenfräulein auf der Engstlenalp zu hinterst im Gental. Sein Revier sind besonders der «Telli» und «Gwärtlistock», wo es seine Tänze und Bocksprünge aufführt. Oft steigt es herunter zum Engstlensee und wirft «Grien» hinein. «Wenn es das tut,» so sagen die Älpler, «gibt es Schneesturm.»
Die dritte endlich ist das «Geissmaidli» in der Schwarzenfluh zu Mägisalp auf Hasleberg. Dort bewohnt es eine unsichtbare Kammer, zu welcher ein in der Fluh befindliches riesiges Loch hineinführt. Wenn die Sennen dieses des Abends mit Holz und Steinen sorgfältig verkeilen und zumachen, so ist am darauffolgenden Morgen alles weggeschafft. Sein Gebiet ist die Wasserrinne des Alpbaches. Durch sein Erscheinen sucht es die Sennen in seine Nähe und in die Absätze der Fluh hinzulocken. Es hat Geissfüsse und blökt hin und wieder wie schäkernde Ziegen. Wenn es, was selten geschieht, die Alpbachschlucht bis zu den Wasserfällen hinter Meiringen herabsteigt und sich dort in der «Schneggenweid» sehen lässt, dann wehe dir, Meiringen, der Alpbach tritt bald darauf tobend und wütend aus seiner Felsenspalte, um mit Wucht das Dorf und seine Bewohner zu verheeren.
Aus: P. Keckeis, M. Waibel, Sagen der Schweiz. Bern, Zürich 1986
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch