Unfern vom Thunersee, hinter dem Rebgut Ralligen, liegt die sogenannte Einöde. Hier stand in alten Zeiten eine Stadt, deren Bewohner als Goldgräber einen Namen hatten. Aber sie waren voller Herzenshärte. Einst ging bei einem Sturme ein Erdmännlein durch die Strassen Rolls, das irgendwo sichern Unterschlupf suchte. Allein die Leute verspotteten das Wichtlein wegen seiner hässlichen Gestalt, zupften es am Bart und stiessen es vor die Türe. Am Ende der Stadt erst, in einem wenig versprechenden Häuslein, fand der Gehetzte Schutz. Die Wirtin tischte ihm Brot, Milch, Käse und gedörrte Kirschen auf. «Ich will es euch danken», rief das Erdmännlein, öffnete die Stubentüre und schlüpfte in die Nacht hinaus. Da hörte man hoch oben im Gebirge rufende Stimmen. Die Erdmännlein hockten auf den Felszinken der Spitzen Fluh und hämmerten auf den Felsen ein, dass die Funken durchs ganze Tal flogen. Noch rief eines der Männchen warnend:
Stadt Roll, zieh us mit dinem Volch, Die spitzi Fluh isch gspalten, Schlegel und Weggen si ghalten; Zieh us, dem Stampbach zu!
Der Warnruf wurde nicht beachtet. Schon war der Fels abgelöst und tosend stürzte der halbe Berg ins Tal, die sündige Stadt mit ihren Bewohnern bedeckend. In der schwarzen Masse aber stand das Erdmännlein, das vergeblich Gastung gesucht hatte. Mit einer Tanne lenkte es den
Schlammstrom, damit er nicht die Hütte derer zerstöre, sie seine Wohltäter gewesen.
Aus: P. Keckeis, M. Waibel, Sagen der Schweiz. Bern, Zürich 1986.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch