Schloss Rondchâtel

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Wenn man bei dem Dorfe Bözingen unweit Biel die Höhe hinaufsteigt, gelangt man in eine enge Bergschlucht. Zur rechten Seite ragen turmhohe, nackte Felsen und dunkle Wälder empor, auf der anderen Seite gähnt ein tiefer Abgrund.

‏Nähert man sich aber den Bergen, gelangt man bei Reuchenette zu einem engen Pass, in dessen Mitte sich ein Hügel erhebt. Auf seiner Spitze lag vor vielen Jahrhunderten das Schloss Rondchâtel. Ursprünglich zur Verteidigung des Bergpasses erbaut, wurde es später Sitz räuberischer und gewalttätiger Herren vom Adel.

‏Zur Zeit der Kreuzzüge hauste in diesem Schloss Ritter Enguerrand, ein wilder und unbändiger Geselle. Er war mit einer Schar rauher Knechte aus Kriegszügen in fernen Landen zurückgekehrt, und bald schreckte er die umliegende Gegend durch Raub und Mord. Keine Herde war da sicher, kein Handelsmann konnte ruhig seiner Wege ziehen. Es gab keinen Frevel, der nicht von dem Ritter und seinen Knechten begangen wurde. Wie das wilde Heer sprengte der Ritter mit seinen Knechten oft zur Nachtzeit durch die Gegend. Hörte man ihn daherreiten, flohen Bauern samt Weibern und Töchtern in die Wälder. Gewaltiger Zorn verbreitete sich unter den Landleuten, doch wie konnte man ohne Waffen ein festes Schloss belagern?

‏Einst zog ein Jüngling aus Bözingen mit Freunden am Schloss vorbei, um seine Braut heimzuführen. Da brach der Ritter an der Spitze seiner Schar aus dem Waldesdickicht hervor und schrie: «Mein ist die Braut!»

‏Mit einem scharfen Schwertstich traf er den Bräutigam, dass das rote heisse Blut aus der klaffenden Brust aufspritzte. Die waffenlosen Gefährten flohen entsetzt nach Wolfingen. Die Braut aber erhob sich und rief in namenloser Verzweiflung dem Mörder entgegen: «Nie wirst du mich besitzen, ihm, dem ich angetraut bin und der in seinem Blute daliegt, will ich folgen. Dich aber, Ritter von Rondchâtel, lade ich vor den höchsten Richterstuhl Gottes.»

‏Mit diesen Worten stürzte sich die Braut in den Abgrund der nahen Schlucht. Die Nachricht von der ruchlosen Tat verbreitete sich schnell in der Gegend. Aus allen Tälern und Gegenden liefen die Männer zusammen, um mit der Waffe in der Hand das unglückliche Paar zu rächen. Doch Klugheit und List mussten sich mit der Stärke paaren.

‏Eines Morgens zogen reichbeladene Saumrosse an der Burg vorbei. Den Räuber auf der Burg gelüstete es nach der Beute und schon sprengte er mit seinen Gesellen über die Zugbrücke den Kaufleuten nach. Doch plötzlich erschallte ein Jagdhorn und die bewaffneten Landleute fielen über die Räuber her. Der Ritter erkannte die Gefahr, doch war es zu spät, um ungeschoren die Burg zu erreichen. Ein Kampf, angeheizt von Rache und Verzweiflung begann. Erschlagen sanken die Spiessgesellen des Ritters zu Boden; nur er selbst schien unbezwinglich. Da stürzte sich ein starker Jüngling von Bözingen auf den Ritter und stach ihm den Dolch in den Hals, dort, wo Helm und Harnisch zusammen stossen.

‏Die Sieger drangen in die Burg Rondchâtel ein und zerstörten sie. Heute zeigen nur im Wald verstreute Trümmer jene Stelle an, wo das unglückliche Paar sein Ende gefunden hat.

 

Aus: P. Keckeis, M. Waibel, Sagen der Schweiz. Bern, Zürich 1986.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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