Auf einer Emmentaler Bergheimat hatte eine Magd die Kühe ihres Meisters zu melken, als eines Abends eine grosse Schlange mit einer goldenen Krone auf dem Kopfe durch die offene Stalltüre zu ihr herein kam. Das Mädchen geriet beim Anblick des Tieres in Bestürzung, aber sie erinnerte sich, schon gehört zu haben, dass die Schlangen besonders gern Milch tränken. So fasste sie sich nun, machte ein Grübchen in den Boden und schüttete Milch hinein. Der ungebetene Gast kroch herzu, trank und verschwand. Am andern Tage aber stellte er sich wieder um die Melkzeit ein. Da merkte die Magd, dass sie sich nicht zu fürchten brauche, und gab dem Tier fortan die Milch aus einem eigenen Schüsselchen. Weil sie sonst ein heiteres und frisches Mädchen gewesen war, seither aber manchmal in sich gekehrt schien, dachte endlich der Meister, sie nehme etwa von einem Sennen der Nachbarschaft Besuche an.
Als sie ihm aber nach langem Sträuben ihr Erlebnis anvertraut hatte, schärfte ihr dieser ein, den Vorfall geheim zu halten und fleissig zu beten. Die Schlange kam noch immer, wurde täglich zutraulicher und schlief endlich beim Mädchen im Bette, und so blieb es bis auf die Zeit, da ein braver und hübscher Jüngling offen um die Magd freite. Als der Abend vor der Hochzeit anbrach, kam die Schlange wie sonst in des Mädchens Schlafkammer und nahm den gewohnten Platz ein. Morgens beim Erwachen war das Tier verschwunden, aber seine Krone hatte es diesmal in des Mädchens Schoss liegen lassen. Das Mädchen ward ein glückliches Eheweib; die Schlangenkrone hinterblieb als Hausschatz ihren Kindern.
Aus: P. Keckeis, M. Waibel, Sagen der Schweiz. Bern, Zürich 1986.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch