Erdmännlein wohnen tief unter der Erde und kommen nur selten herauf zu den Menschen. Wohltätige Leute werden von ihnen belohnt. Weil sie sich nur nachts sehen lassen, nennt man sie auch Nachtleutlein.
Gerne setzen sie sich in einem Kreis zusammen und noch lange nachher zeichnet sich der Kreis, wo sie sassen, durch kräftigen Graswuchs aus. Bisweilen sieht man an kahlen Berghalden solche Ringe, etwa zwei Klafter im Durchmesser, die aus saftigstem Gras bestehen, während ringsum alles kahl und dürr ist.
Von diesen Erdmännlein erzählt man sich viele Geschichten.
Eines Abends ging ein Mann ins Wirtshaus, um Wein für seine Frau, die eben niedergekommen war, zur Stärkung zu holen.
Auf dem Rückweg traf er auf ein paar Erdmännlein, die ihn fragten, was er da mit sich trage. «Wein für meine Frau», sagte der Mann. Da baten ihn die Erdmännlein, ihnen davon zu trinken zu geben. Der Mann redete sich heraus, der Wein in der Flasche reiche nicht aus für alle. Da meinten die Erdmänchen, es bleibe darüberhinaus noch genug für seine Frau darin. Da gab er ihnen die Flasche, welche die Erdmännchen im Kreise herumreichten. Da wurde dem Mann Angst um seinen Wein. Sicher musste er wieder ins Wirtshaus zurück, um die Flasche auffüllen zu lassen. Als man ihm die Flasche zurückgab, war die Flasche noch fast voll.
Das wunderte den Mann. Die Erdmännlein schärften ihm aber ein, nichts seiner Frau zu erzählen.
Genug, nicht nur konnte seine Frau nach Herzenslust trinken, die Flasche blieb stets voll, soviel man auch daraus getrunken hatte. Aber schliesslich wollte diese immervolle Weinflasche der Frau nicht mehr gefallen. Sie ahnte Hexenwerk und drang in ihren Mann, die Wahrheit zu sagen.
Der Mann redete sich mit der Grösse der Flasche heraus und forderte seine Frau auf, recht kräftig daraus zu trinken, dann werde sie gewiss leer. Aber die Frau liess sich nicht hinters Licht führen. Da entdeckte ihr der Mann das Geheimnis. Von da an leerte sich die Flasche rasch und der Mann musste wieder und wieder in die Wirtschaft laufen, um sie zu füllen.
Aus: P. Keckeis, M. Waibel, Sagen der Schweiz. Bern, Zürich 1986.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch