Auf einer Alp Unterwaldens, wo viele Hütten wie ein Dörflein beisammen sind, hatte man eine Kapelle für den sonn- und festtäglichen Gottesdienst, aber kein Glöcklein. Um nun früh genug zu kommen, so beeilten sich die Leute an jenen Tagen mit Aufstehen und den notwendigen Geschäften und betraten dann sofort den Kirchweg. Gewöhnlich kamen sie eher zu früh als zu spät bei dem Gotteshause an, welches sie andächtig beschritten, um bis zum Beginne des Gottesdienstes im Gebete zu verweilen. Da erschien einst ein reicher fremder Herr mit einem Führer in dieser Alp und hielt sich dort einige Tage auf. Beim Abschiede zeigte er sich sehr befriedigt und versprach das nächste Jahr wieder zu kommen und zwar mit einem Geschenke.
Und als der Herr im andern Sommer anlangte, brachte er ein Glöcklein mit von hellem Klange. Das gab eine Freude, als es zum ersten Mal Ave läutete! Den wohltätigen Herrn bewirteten sie auf's freundlichste mit süsser Alpenkost. Nichts ward gespart ; geblähte Nidel, Kohlermuh, Burehögerli, Stunggäwerni, Kniesalb, Fusterli, Fusterlikossi und Zänzänä ward allda aufgetischt. Nach etlichen Tagen schied der noble Herr wieder und die Aelpler beauftragten einen alten frommen Senn, dass er ihm den Ehrenweg antue. Der machte jedoch dazu ein schiefes Maul und hatte keine grosse Freude an dem Auftrage, doch vollzog er ihn. Zum Herrn sprach er beim Abschiede: „Ich kenne dich, du bist der böse Feind, leugnen num abbe, der libhaftig Tifel luegt nebed dir zum Pfeister inä!"
Sie rannten davon, der Gerufene ebenfalls. Als sie endlich anhielten, war's Morgen und der eine befand sich unten in Dallenwil, der andere weit hinten in der Gemeinde Wolfenschiessen, der dritte war zu Hause in Oberrickenbach und sein Kopf war stark geschwollen. Er verfiel in eine tödliche Krankheit und genas erst nach vielen Wochen.
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch