Eines der bekanntesten und gefürchtetsten Gespenster von Giswil war von jeher Hensli Müller. Bald tritt es auf als wildes Ross, bald aber auch als Hund oder Kalberjährlig mit einem fleischtellergrossen Auge mitten im Kopfe. Überhaupt kann es sich in alle möglichen Gestalten verwandeln mit Ausnahme derjenigen eines Schafes. Der von ihm meist begangene Weg ist von der oberen Schwand, wo Hensli Müller vor vielen hundert Jahren gewohnt haben soll, gegen die alte Kirche; von da durch den alten Kirchweg hinaus, mit einem Abstecher gegen das grosse Studenhaus, dann gegen Unterlinden, wo es das Recht hat, mitten durch's Haus zu gehen, weil es über eine alte Strasse gebaut ist und von da gegen den See. Wenn es gegen den See zu jagt, hört man sein Getrab im ganzen Grossteil.
Vor einigen Jahren ging ein junger Mann nachts zehn Uhr von Unteraa nach Grossteil; da folgte ihm Hensli Müller mit furchtbarem Geraffel auf dem Fuss. In der Spechtsbrenden erst, wo die alte von der neuen Strasse abzweigt, verlor er den unwillkommenen Begleiter, hörte aber das Geraffel noch lange. Vor vier Jahren starb in Giswil eine alte Person, welche an einer Strasse wohnte und das Ungeheuer einmal ganz nahe sah. Es war schon spät in der Nacht; sie hatte Zahnschmerzen und blieb wach; auf einmal sah sie die Strasse hinauf einen entsetzlich grossen Hund kommen mit einem fürchterlichen Auge mitten im Kopfe. Von Mitleid mit der geplagten Seele des Hensli Müller gerührt betete sie. Das Ungeheuer kam immer näher, bis es vor dem Fenster stand und hineinglotzte. Vor Furcht und Schrecken wurde die Person viele Wochen krank.
Vor ca. 80 Jahren hat der hochberühmte Kaplan Bieler, der auf Feuer und Ungeheuer extra geweiht war, diesen unsteten Geist angeredet und da hat dieser ihm gestanden, er habe viel Wald ab dem gemeinen Wesen gestohlen und sich an Vogtskinder Sach vergriffen und müsse daher wandeln. Hensli Müller wäre ewig verloren gewesen, hätte er nicht ein Bett in das Armen-Leute-Haus in Sarnen gestiftet.
In einem Hause in Giswil soll er zur Zeit der Vogtsrechnungen jeweilen furchtbar rumoren. —
Der Radelglaus von Giswil hatte ein Pferd nach Sarnen in die Schmiede geführt und ritt bei hereinbrechender Nacht über Wylen nach Haufe zurück. Jenseits des Forstes sah er einen riesigen, fürchterlichen Hund vor dem dortigen Hause liegen. Auch das Pferd erblickte das Ungeheuer, machte einen Seitensprung und warf seinen Reiter ab. Als dieser sich fluchend vom Boden erhob und seinem davonsprengenden Pferde nachhinkte, war der Hund verschwunden. Es war Hensli Müller gewesen, der in solcher Gestalt den Mann geneckt hatte. —
Peter Antoni Degelo ging einstmals in den Giswilerstock auf die Jagd. Durch einen Waldweg niedersteigend, stiess er mit dem Fusse an einen kleinen Stein und liess ihn vor sich her rollen. Der Stein aber wuchs während des Rollens zu einem mächtigen Felsblocke an und ward immer grösser, bis er schliesslich auf beiden Seiten des Weges die Tannen streifte und auseinanderbog. Der wackere Peter Antoni jedoch kannte keine Furcht und schritt beherzt vorwärts, worauf der Spuk, — es war Hensli Müller, der sich in dieser Gestalt gezeigt, — plötzlich verschwand.
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch