Die Frau eines Hirten weidete in der Gegend dieses Tales, in einem Eichenwald das Vieh. Bei der stechenden Sonne kam es ihr in den Sinn, einen kühlen Ort aufzusuchen. Da sah sie eine Steinkluft und stieg mit ihrem Kind hinunter. Dort legte sie sich nieder und der Schlaf übernahm sie. Während sie schlief, lief das Kind auf dem kleinen Felsvorsprung herum und wollte über die Felskante in das tief unten liegende Tal hinabschauen. Doch neigte es sich zu weit über den Felsen hinaus und fiel wohl zwanzig Klafter hinunter. Als die Mutter wieder aus dem Schlaf erwachte, schaute sie sich nach ihrem Kind um. Da sie es weder sehen noch hören konnte, erschrak sie; sie ahnte, dass das Kind wohl über den Felsen hinabgestürzt sein müsse. So eilte sie angstvoll über einen steilen Umweg ins Tal, um ihr totes Kind zu bergen. Doch unverhofftes Wunder! Am Fusse des Felsens erblickte sie, unverletzt, frisch und gesund, das Kind in der Wiese. Da fragte die Mutter verwundert, wie es hierhergekommen sei. Da sagte das Kind, dass es über den Felsen gefallen, aber im Sturz von einer hellglänzenden Frau aufgefangen worden sei, die es hier in der Wiese abgesetzt habe. Und diese Frau habe gesagt, sie hätte diesen Felsen zu ihrer Wohnung auserwählt und für jeden, der hierherkomme und sie hier anrufe, wolle sie Hilfe und Gnade bei ihrem liebsten Sohn erflehen. Aus diesem Grunde habe sie es am Leben erhalten, dass man dieses Wunder in alle Welt verbreite. Darauf sei die Frau in grossem Glanz gen Himmel aufgefahren.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch