Vom Süden her über den Fringeliberg kommt das Nachtgjeg. Man hört den wilden Lärm schon, wenn es noch im welschen Tal drüben wütet. Die Menschen flüchten sich dann meist unter ein Dach; denn wer sich unter eine Dachtraufe retten kann, ist geborgen. Wer auf freiem Feld überrascht wird, der muss sich zur Erde werfen. Das Nachtgjeg schleppt nur jene Menschen mit, die mehr als drei Fuss über den Boden hinausragen.
Einmal blieb ein Vorwitziger stehen. Er sah zum Berg hinüber und lauschte auf die grässlichen Laute der Tiere, der Hunde, Schweine und Raben. Stärker wurde der Sturmwind und lauter der höllische Lärm. Auf einmal griff eine krallige Hand in den Nacken des Vorwitzigen. Da verging ihm die Neugier. Er verlor den Boden unter seinen Füssen und schwebte in der Luft. Als er um Hilfe rufen wollte, brachte er keinen Laut aus seiner Kehle. In rasendem Lauf sauste er durch die Nacht. Doch am Morgen stand er wieder an jener Stelle, wo ihn das Nachtgjeg in die Lüfte gerissen hatte. An seinen Schuhen hingen noch Weizenhalme mit reifen Ähren. So musste er in dieser Nacht weit weg gewesen sein, denn in der Solothurner Gegend reift um jene Zeit kein Getreide.
Ein alter Bärschwiler, der das Nachtgjeg mehr als einmal gehört hat, glaubt, der vorwitzige Nachtschwärmer sei nach Russland geschleift worden. Dort sei ihm ein Halm an den Füssen hängen geblieben, als er in niedriger Höhe über ein Getreidefeld hinweggerast sei.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch