Wenn Regenwetter über Wölflinswil herzieht, so kommt aus der Staatswaldung der Pfaffenhalde bei Oberdorf der grüne Jäger auf grünem Ross herunter ins Fricktal. Laut bellen seine Hunde.
Ihnen antworten dann die des Rohrer auf dem nahen Bauernhofe im Gottlisacker. Vielerlei hat er in seinem Gefolge, dreierlei Schafe und ein ganzes Rudel Katzen. Plötzlich blähen sich die Tiere zur Grösse eines Stieres auf. Auch Mannsgestalten schiessen hinter ihnen empor wie hohe Bäume. Sie füllen das Tal, und es saust und dröhnt, als ob Berg und Wald zusammenbrechen müssten. Das dauert jedoch nur einen Augenblick. Dann ist alles wieder verschwunden. Dann geht es über Wald und Ackerland dahin, durch das Pfeifen- und Küferhansen-Gässlein nach Oberhofen hinein, weiter sodann auf der Landstrasse fort, nach Wölflinswil, hinter der Dorfkirche hinauf auf den Bühl, wo ehemals ein Schloss gestanden hat; von dort führt er noch manche Stunde weiter ins Dorf Wittnau und in die Ruine Homburg hinauf. Die Geschichte des grünen Jägers mit seinem grünen Ross rührt vom Schwedenkriege her. Damals ist das Fricktal noch österreichisch gewesen und hatte daher unter den Schweden schwer zu leiden. Das galt auch von den höher gelegenen Bergdörfern und Sennhöfen im Jura, zu denen die Feinde plündernd und mordend hinanstiegen. Derlei Drangsale und die Not machten die Bauern erfinderisch. Sie suchten sich durch Aufstellen von Wachen den Bergen entlang vor feindlichen Überfällen zu schützen. Diese Wachen mussten mit den Hüten winken, wenn nur wenige Soldaten sich zeigten. Rückten aber ihrer viele an, so mussten sie eine Fahne schwenken. Über die wenigen fiel man her und verscharrte sie in der Kreuzmatte zu Wölflinswil. War aber eine zahlreiche Truppe im Anzug, so hatten die Leute noch immer Zeit, sich in die Hochwälder zu flüchten und hinter Felsen und im Waldesdickicht ein dem Feinde unzugängliches Versteck zu finden. Als letzterer aber sich auch im Dorfe einquartierte, sahen die Wölflinswiler sich durch die Not gezwungen, oben den Waldboden aufzuhacken und anzupflanzen. Um sich vor den gefürchteten Schweden zu schützen, versetzten sie die Marksteine ihres oberen Gemeindebannes, so dass sie in den Gemeindebann des solothurnischen Dorfes Kienberg eingeschlossen erschienen. In solcher Weise blieben sie dann von den Schweden unbelästigt, litten aber grossen Hunger. Den Sigrist, der mitleidig seinen Mitbürgern oben im Walde die Betglocke läuten wollte, hatten die Schweden gefangen genommen. Ein Reiter band seine gefesselten Hände seinem Ross an den Schwanz und führte ihn hinüber nach Hornussen, wo ein Siegesfest gefeiert werden sollte. Da kein Spielmann sich vorfand, so anerbot sich der Sigrist, seine Geige zu holen. Mit zusammengeschnürten Händen an den Rossschwanz gebunden, wurde er vom Reiter wieder zurückgeführt. Diesem gab der Gebundene den Weg über das Dorf Herznach als den kürzesten an. Derselbe führte durch einen einsamen Bergwald. Hier war es dem Gefangenen gelungen, seine Hände zu befreien. Rasch reisst er ein Scheit aus der nächsten Scheiterbeige, schlägt den Reiter vom Ross und schwingt sich hinauf. Dann ritt er hinauf nach Gösgen zum solothurnischen Landvogt und bot ihm sein Schwedenross feil. Wegen seiner grünen Farbe kaufte er es um achtzig Dublonen. Das Geld brachte er seinen hungernden Mitbürgern im Kienbergerwald. Dankbar gaben die Wölflinswiler ihm und seinen Nachkommen den Sigristendienst auf ewige Zeiten.
Der Junker von Gösgen hatte das grüne Schwedenross an einen Juden und dieser an den Ammann von Leimen verkauft. Als nun das nie gesehene grüne Ross im Leimental ankam, lief das ganze Dorf zusammen.
Dabei liess man es im Baumgarten frei herumlaufen und grasen. Da fasste es mit einem Male des Ammanns Büblein mit seinen Zähnen am Röckchen und trug es im Galopp davon zum Dorf hinaus. Alle, Mann und Weib, rannten hinten drein, das Kind zu retten. So gross der Schwarm war, so wenig gelang es ihm, das Ross zu erreichen. Schon war es dem Gesichte der Verfolger entschwunden. Als das Ross weit vom Dorfe entfernt war, hielt es plötzlich an, setzte das Knäblein behutsam nieder, wartete geduldig auf die Verfolger, liess sich ruhig von ihnen fangen und ins Dorf zurückführen. Auf dem Rückweg begegneten sie dem Sigristen, dem sie das Wunder der Rettung des Kindes erzählten. Dieser dagegen berichtete, die Schweden seien soeben dagewesen und hätten nach dem grünen Ross gesucht. Das Ross gehöre dem König und sei ihm gestohlen worden. Er rate, das grüne Ross zu verkaufen, weil die Schweden, wenn sie es hier finden, solches das Dorf schwer büssen lassen würden. Der Ammann beschloss, mit dem grünen Ross nach Basel auf den Rossmarkt zu reiten. Auf dem Wege aber warf der Gaul den Reiter in den Sumpf von Benken und war verschwunden. Bis zur Franzosenzeit will man das Ross hie und da in Wölflinswil wieder gesehen haben. Niemandem ist es indessen eingefallen, es zu fangen.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch