Wenn der Wanderer von Olten über Trimbach nach Winznau geht, so sieht er, dass die Strasse in der Rankwaag einen rechten Winkel bildet. Dort zweigt ein Fussweg ab, der sich über eine steile bewaldete Höhe hinanzieht und auf ein Hochplateau führt. Dieser Fussweg war früher die kürzeste Verbindung zwischen Olten und Lostorf und Lostorf-Bad, auch die von Rohr und Kienberg, ja sogar die Fricktaler benutzten diesen Weg mit Vorliebe.
Da wo nun dieser Weg über die Anhöhe bei Mahren führt, steht bei einer Gruppe uralter Hagebuchen das Mahrerkreuz. Dieses Kreuz war früher ein vielbesuchter Wallfahrtsort. Aus weiter Ferne pilgerten Leute dorthin, besonders aus dem Fricktal. An Sonntagen bei schönem Wetter waren die roh gezimmerten Eichenbalken, welche als Sitzbänke dienten, immer dicht besetzt, und an Werktagen konnte man selten dort vorbeigehen, ohne dass Leute da waren, welche vom Gekreuzigten Hilfe für geistige oder körperliche Gebrechen erflehten. Besonders waren es von körperlichen Gebrechen Behaftete welche ihre Zuflucht zu diesem Wallfahrtsort nahmen und zum Dank für ihre Genesung dann ein entsprechend geschnitztes Glied opferten und an der Hagebuche befestigten, wie dies noch heute an Wallfahrtsorten üblich ist.
In neuerer Zeit wird das Kreuz von Fremden weniger besucht, dagegen ist der Gang zu demselben bei den Frauen der Umgegend, die mit ihren Kindern dort gerne weilen, noch immer sehr beliebt.
Über die Geschichte des Kreuzes ist wenig bekannt. Dasselbe war Ende des letzten Jahrhunderts vollständig verwittert, und nur noch ein kleiner Stumpf zeigte, wo es gestanden. Damals wohnte ein reicher Bauer in Mahren, der Mahrenjoggi genannt. Derselbe besass vier Pferde, welche innert kurzer Zeit sämtliche an einer gefährlichen Krankheit umstanden. Er ersetzte sie durch andere, aber bald genug nahm er wahr, dass diese heimtückische Krankheit auch die neuen Pferde ergriffen hatte. In dieser Not gelobte der Bauer, wenn die Rosse wieder gesund würden, so solle die erste Arbeit mit denselben sein, eine Eiche im nahen Balmis zu holen, auf den Platz zu führen, ein Kreuz daraus zu machen und an Stelle des alten verwitterten zu stellen. Und siehe, die Pferde wurden gesund, und der Bauer hielt Wort.
Dieses vom Mahrenjoggi erstellte Kreuz trotzte den Unbilden der Witterung bis in die 50er Jahre dieses Jahrhunderts, wo es dann vermittels Beiträgen frommer Leute durch ein solides steinernes ersetzt wurde, welches jedenfalls dem Zahn der Zeit länger widerstehen wird.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch