Im Hexenloch, welches im Born zwischen Aarburg und Olten zu finden ist, hauste vor vielen hundert Jahren ein Zwergenvolk, das seine Wohnsitze in den unzähligen Felshöhlen aufgeschlagen hatte. Sie lebten da, Männlein und Weiblein, in Eintracht beisammen. All ihre Hausgeräte, besonders aber ihre Feld- und Gartenwerkzeuge, waren aus blankem Silber gearbeitet. Alle, welche sie zu sehen bekamen, rühmten ihre zierliche Gestalt und den Glanz ihrer Augen. Sie waren kinderlos und liebten es zuweilen, mit den Menschen der Umgegend zu verkehren. Zur Zeit der Heu- und Getreideernte kamen sie aus ihren Berghöhlen hervor, mit ihrem Feldgeschirr versehen, und stellten sich mit den Schnittern in Reih und Glied. Beinahe jede Haushaltung in den nahegelegenen Dorfschaften hatte ihre Zwerge, die an ihren Festen und traurigen Begebenheiten Anteil nahmen. Die Leute zeigten sich dankbar gegen ihre kleinen Wohltäter. Sie wiesen ihnen bei Hochzeitsschmäusen und andern Festen immer die ersten Plätze an und stellten ihnen die besten Bissen, den süssesten Most auf, den sie im Vorrat hatten. Aber eines wollte ihnen an den Zwergen nie gefallen: dass sie nämlich so lange Röcke trugen, die bis zum Boden reichten, so dass sie ihnen die Füsse bedeckten. Die Neugierde, zu wissen, wie diese beschaffen seien, konnten am Ende einige Mädchen nicht bezwingen. Sie gingen eines Tages vor Sonnenaufgang zum Hexenloch hinauf und bestreuten die Felsenplatte am Eingang mit feinem Sand. Sie dachten, wenn die Zwerge in den nahen Wald gingen, müssten ihre Füsse schon Spuren im Sande zurücklassen und versteckten sich also im Gebüsch. Sobald die Sonne ihre ersten Strahlen an die Höhle warf, kamen die Bergmännlein und Bergweiblein hervorgehüpft und liefen über die Felsenplatte dem Walde zu. Da sahen nun die Mädchen, dass die Zwerge Ziegenfüsse hatten. Darüber mussten sie so lachen, dass es die Zwerge hörten. Sogleich kehrten sie in die Höhle zurück. Seit jenem Tage kamen sie nicht wieder zum Vorschein.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch