Östlich von der jetzigen St. Peterskapelle in Kestenholz, angrenzend an den ehemaligen Kirchhof, befand sich unter dem Namen Bettlerküche vor fünfzig Jahren noch ein von hohem Gesträuch umfriedetes, unbebautes Gelände, das von Zigeunern und Vaganten zu zeitweiligem
Aufenthaltsorte benutzt wurde. Hier wurde Wäsche gewaschen, geschnorrt und gebacken. Hatten schon deshalb die Dorfbewohner eine erklärliche Scheu vor diesem Platz, so wurde dies Gefühl noch verstärkt durch den Wendelstörfer, der dort sein Unwesen trieb.
Der Wendelstörfer war einst Landvogt zu Bechburg gewesen. Durch seinen gewalttätigen und bösen Charakter, den er sich in fremden Kriegsdiensten angewöhnt hatte, machte er sich bei den Landleuten so verhasst, dass der hohe Rat ihn absetzen musste und ihn auf seine Besitzung, die Oberbuchsiter Alp, verbannte. Hier wirtschaftete er einige Zeit und brachte sich am End aus Überdruss um. Doch nun war der Teufel los. Der Landvogt ging um, und weder Knecht noch Vieh, weder Huhn noch Magd waren sicher vor dem Spukgeist, so dass der Senn die Kapuziner rufen musste. Der Geist wurde befragt, wohin er sich verbannen lassen wolle; der Vogt entschied sich für die Bettlerküche zu Kestenholz.
Nun ward der Wendelstörfer den Kestenholzern eine sehr bekannte, aber gefürchtete Persönlichkeit. Er zeigte sich den erschrockenen Landleuten stets in grüner Uniform, mit goldenen Knöpfen und breitem Dreispitzhut. Er trieb allerlei Spuk, machte das Vieh und die Pferde scheu, warf geladene Wagen um. Es gab keinen Bauern im Dorf, der sich nicht über einen bösen Streich des Wendelstörfers zu beklagen gehabt hätte.
Der Vogt mochte seinen im Leben bewiesenen Übermut auch nach dem Tode nicht verleugnen: er ass und trank mit dem Bettelvolk. Ja es kam vor, dass er in einer solchen Anwandlung von guter Laune eine Kestenholzerin, die früher bei ihm als Magd in Dienst gestanden hatte, bei ihrem Namen Anni rief. Auch muss der Vogt zu seinen Lebzeiten ein Freund der Gymnastik gewesen sein, denn es schien ihm ein Hauptvergnügen zu sein, auf stubenhohe Hecken zu springen und durch allerlei wunderliche Gesten das Landvolk zu erschrecken.
Seit circa fünfzig Jahren will man den Wendelstörfer nicht mehr gesehen haben - er habe seine Zeit, 100 Jahre, gemacht noch aber leben alte, sehr wahrheitsliebende Leute, die schwören, ihn persönlich und ganz deutlich gesehen zu haben.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch