In einer Spinnstube sassen Mädchen und Burschen beisammen, und eine alte Frau erzählte zum Schluss des Abends vom Haubenmütterlein, das in den Adventnächten am Kreuzweg im Gemeindewald auf einem Stein sitze. Wenn ein mutiges Mädchen den Weg dorthin wage, erfahre es, ob es nächstes Jahr heiraten werde. In diesem Falle werfe ihm nämlich das Weiblein ein goldig blinkendes Häubchen zu. Wenn es aber geschehen sollte, dass das Weiblein sich mit finsterem Angesicht abwende, wäre dies ein Zeichen, dass die Fürwitzige innert Jahresfrist sterben müsse.
In der Stube sass auch die reichste Bauerntochter des Dorfes, ein schönes flachshaariges Mädchen, dem ein hübscher, aber armer Bursche schon lange nachstrich. Aber obschon er ihr im geheimen nicht schlecht gefiel, behandelte sie ihn immer hochnäsig, und auch an diesem Abend lehnte sie seine Begleitung ab. Er ging ihr aber von ferne nach und sah, wie sie auf halbem Wege abbog und sich anstatt nach Hause nach dem finsteren Wald begab. Der Mond warf ein fahles Licht durch die nackten Bäume, und wirklich sass am Kreuzweg auf dem Stein eine zusammengekauerte Gestalt. Das junge Mädchen schauerte zwar, aber dennoch wandte es sich an das Haubenmütterlein mit der Frage, was ihr das kommende Jahr bringen werde. Da drehte sich die Alte wortlos ab. Kein Wunder, dass das Mädchen vor Schrecken ohnmächtig zusammenbrach. Vermutlich wäre es im Wald erfroren, wenn nicht im gleichen Augenblick ihr Verehrer der alles mitangesehen hatte, herbeigeeilt wäre. Nun war sie noch so froh, sich in dieser unheimlichen Einöde an einen vertrauten Menschen zu klammern, und als er ihr noch gar von dem Stein, wo das Weiblein gesessen war, ein goldenes Häubchen brachte, verflogen Todesangst, Hochmut und Liebeszweifel aus ihrer Brust, und sie reichte dem Geliebten ihre Hand. Seither hat man das Haubenmütterchen nicht mehr gesehen.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch