Dem Falkensteiner war seine Frau gestorben. Seither tat er nichts anderes als rauben und saufen. Einmal fielen ihm reiche Kaufleute aus dem Welschland in die Hände, die über den Hauenstein gezogen waren. Die Weinfässer liess er in seinen Keller bringen, die Kaufleute aber warf er ins Verlies. Als er mit seinen Gesellen die reiche Beute feierte, färbten sich weisse Nelken blutrot im verschütteten Wein.
«So rot wie Blut!», sagte da einer. Da rief der Falkensteiner: «Ihr werdet gleich noch rötere Nelken sehen.» Dann liess er die bleichen Gefangenen aus dem Kerker heraufführen und machte sich einen Spass daraus, diese durch seine Knechte blutig schinden zu lassen. «Diese roten Nelken gefallen mir besser!» meinte er dann. Da rief einer der Geschundenen: «Gott soll dich dafür strafen!» Da liess er den Gefangenen über die Mauer werfen.
Einige Wochen später ritt der Falkensteiner mit seinen Knechten zu Tal. Da erblickte er im Gebüsch etwas Rotes und liess Nachschau halten. Der Knecht brachte ihm wilde Fluhnelken zurück, in deren Blütenblätter rote Blutstropfen hingen. Da wurde in ihm die Erinnerung an jene grausige Nacht wieder wach. Unterdessen war die Kunde über die Untat des Falkensteiners auch ins Welschland gedrungen. Man wollte den Schimpf, den man den Mitbürgern angetan hatte, rächen. Die Grafen von Nidau und Kyburg zogen vor die Burg Falkenstein und hungerten die Besatzung aus. Dann setzten sie das Schloss in Brand. In seiner Not setzte der Falkensteiner hoch zu Ross über die Mauer und zerschellte in der Tiefe. Die roten Fluhnelken wachsen bis zum heutigen Tag am Fusse der zerstörten Burg.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch