Noch viele alte Leute im Bernischen Münstertal, besonders an der Solothurner Grenze bei den Höfen Chaluat, erzählen wunderbare Geschichten von der alten Frau Laboix, die mit Zaubereien und allerlei Hexenkünsten umzugehen wusste. Der alte Metzger Schluepp von Solothurn tat allemal, wenn er etwas von ihr hörte, einen derben Fluch und erzählte dann, wie ihm die Hexe einst mitgespielt habe.
An einem heissen Sommernachmittage schritt er rüstig und wohlgemut über die Berge hin, denn er hatte eben einen guten Handel um einen fetten Stier abgeschlossen; je näher er den Chaluats kam, desto schneller verging ihm seine gute Laune, und es wurde ihm fast ängstlich ums Herz, als er die Hütte der Hexe erblickte.
Doch da kam sie ihm schon entgegen, und während er tief den Hut zog, öffnete die hagere, lange Gestalt den hässlichen zahnlosen Mund und fragte freundlich-grinsend, wie es gehe? Gar gut, meinte Schluepp höflich, gar gut, Madame Laboix, wenn ich nur wenigstens den Berg gegen den Gänsbrunnen hinter mir hätte, dass ich noch zeitig nach Hause käme! Das kann schnell geschehen, Meister, erwiderte die Hexe und klopfte ihm freundlich auf die Schultern; da zuckte es dem dicken Metzger in allen Gliedern, er fiel zu Boden, und wie ein Kegel purzelt er die ganze Weide hinab bis zum Fusse des Berges. Fluchend stand er endlich wieder auf, reinigte sich von dem Dreck und befühlte seine zerquetschten Glieder. Da hörte er vom Gipfel einer nahen Tanne ein gellendes Gelächter. Eine Elster wiegte sich auf einem Zweig. Schweigend eilte er weiter, aber die Hexe erreichte ihn wieder, und erst nachdem ihn ein Platzregen bis auf die Haut durchnässt und ein Hagelschauer ihm tüchtig den Kopf zerschlagen hatte, kam er ganz missmutig im Gänsbrunnen an, wo er über Nacht bleiben und sich erholen musste.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch