Die Wirtin im Schnepfen erzählte vor mehr als hundert Jahren: Zu Lebzeiten von meines Mannes Grossvater, der auch das alte Wirtshaus bewohnte, haben einst einige Burschen bis spät in die Nacht Karten gespielt. Der eine von ihnen hatte Unglück im Spiel und schon eine bedeutende Summe verloren. In der Stube hing ein Christusbild an der Wand. Halb im Spass, halb im Ernst tat er nun den frevelhaften Schwur: wenn er das folgende Spiel nicht gewänne, so werfe er dem Herrgott das Messer, das vor ihm lag, an den Hals. Ein neues Spiel begann. Er verspielte wieder, und im Zorn warf er das Messer gegen das Bild. Das Messer blieb im Halse des gemalten Heilands stecken und wie der Frevler es herauszog, spritzte Blut heraus! Schnell wurde die Sache ruchbar und gelangte vor den Pfarrer und die hohe Regierung. Der Wirt wurde um eine sehr hohe Summe gestraft, davon er jährlich den Zins bezahlen musste. Das Christusbild aber wurde unter feierlicher Prozession vom Pfarrer und anderen Geistlichen in die Kirche des Dorfes getragen und dort aufgehängt. Aber wie erstaunt war man, als es am folgenden Morgen wieder in der Wirtsstube hing. Aufs Neue wurde es in die Kirche gebracht, am andern Tage war es wieder im Wirtshaus. So geschah es mehrere Male, bis man es endlich da hängen liess. Nah und fern sprach man von dem wundersamen Bild.
Manch ein Mütterchen und mancher brave Mann wallfahrtete nach dem Dörfchen in den Schnepfen, um vor dem Bilde zu beten. Alle kehrten getrost und mit ruhigerem Herzen heim; mehrere wurden auch von Krankheit befreit.
Das Bild ist noch da und es ist das nämliche Bild, aber die Wallfahrer sind ausgeblieben. Denn seitdem anno 1798 mit den Franzosen auch neue Ideen in unser Land gekommen, hat es seine Heilkraft verloren.
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch