Eine Stunde oberhalb dem Dorfe Engelberg steht die Galtenfluh. In derselben befindet sich eine Höhle von den Thalleuten das Jungfernloch benamset. Damit hat es folgende Bewandtnis. Es war einmal im Thal ein reicher Senn und der hatte ein einzig Töchterlein, das in Liebe dem Friedli, einem armen Knechtlein, zugethan war. Nach des Vaters Willen sollte die Tochter einen alten, ledigen Vetter heiraten, diese wollte aber von dieser Heirat nichts wissen. Darüber ausser sich vor Wut hat der rohe Vater die brave Tochter in die Felsenhöhle in der Galtenfluh verwünscht. Daselbst wurde die reine Jungfrau von einem greulichen Drachen bewacht. Nur ein keuscher Jüngling konnte selbe aus der Gefangenschaft erlösen. Wer des Wagnisses sich unterfing ohne keusch zu sein, den umstrickte der Drache mit dem Schwanze und schleuderte ihn die himmelhohe Wand hinab mit dem Hohne: „Bist ja schon garten gegangen!“
Da ist einmal ein armer, aber keuscher Bub gekommen, um die Jungfrau zu erlösen. Der ist dem Feuer und Flammen speienden Drachen unversehens unter den Leib gekrochen, hat ihn an den Beinen gepackt und ringend über die Fluh hinabgestürzt. Im Falle konnte der Bub sich behend obenauf schwingen und wurde gerettet, während der Drache jämmerlich in Stücke zerfiel. Voll Freude hat der Sieger dann die verwunschene Jungfrau zum Traualtar geführt und sie sind ein glückliches Ehepaar bis an ihr selig End geblieben, ihren Kindern und Mitmenschen zum Heil und Segen.
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch