Das Distelnband heisst noch heute ein schmaler Bergrücken auf Arnialp, weil infolge eines schlimmen Zaubers dort nur mehr Bergdisteln wachsen. In alter Zeit hiess das Band das Meienband, denn damals blühten daselbst die herrlichsten Alpenblumen, Edelweiss, Alpenrosen, Gentianen und Bränderli.
Ein junger Senn auf Arnialp hatte eine schöne Sennerin gar lieb. An einem Sonntagnachmittag stieg er ins Meienband, seiner Liebsten einen Meien zu pflücken; den trug er mit der hereinbrechenden Nacht in die benachbarte Sennhütte, wo die Schöne wohnte. Er fand die Hüttentüre und das Fensterlein verschlossen. Schlimmes ahnend spähte er durch eine Lücke des Schiebladens und sah wie seine treulose Liebste drinnen mit einem Köhlerbuben schön tat. Da erfassten heisser Schmerz und Zorn den armen Betrogenen und er rief so laut, dass das Echo von der Kilchlifluh wiederhallte:
„Gott b'hiet is vor Ung'hür und bösem G'speist
Und vor Wybervolch nu wyt der meist!"
Als der Senn in seine Hütte zurückkam, sass dort ein unbekanntes Bettelweib und fragte ihn, warum er der Weise des Betrufes noch die schlimmen Worte beigefügt, dass Gott ihn vor „Wybervolch" bewahren solle. Von heimlichem Bangen vor dem Weibe erfüllt erzählte der Senn gleichwohl, wie schwer ihn die Untreue seiner Liebsten kränke. Schweigend, ohne Nachtgruss, ging das Weib hinaus. Der Senn folgte ihr vor die Hütte, aber bald verschwand die Alte im Dunkel der Bergnacht. Kurze Zeit nachher aber vernahm er von der Höhe des Meienbandes her den wilden Ruf:
„Verwyscht sig 's Meienband in es Distleband."
Ueber Nacht verschwanden am Meienband die Alpenblumen alle; seither wachsen dort nur mehr Disteln, daher der Name Distleband.
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch