Dr. Johann Baptist Dillier, S. J., zubenannt der Seminariherr (er gründete in Sarnen eine Lateinschule, aus der das heutige Kollegium hervorgegangen ist), wurde in Wolfenschiessen im Jahre 1668 geboren; in Rom erwarb er sich 1704 den Doktorhut; in Sarnen starb er nach langjährigem Aufenthalte im Jahre 1745. Der „Seminariherr ist eine ungemein volkstümliche Gestalt und sagenumwobene Persönlichkeit. Ein Mann von grosser Bildung und Gelehrsamkeit, verschiedener Sprachen mächtig und ein eifriger Geologe, forderte er gewissermassen die geschwätzige Sage selbst heraus, die ihn dann auch mit dem Nimbus des Wunderbaren umgab und der Nachwelt als geisterbannenden Zauberer und glücklichen Schatzgräber in seiner Grösse und Ausserordentlichkeit ausmalte.
Der Glaube an seine Schatzgräberei wurde durch eine Schrift veranlasst, in welcher Dillier über das Auffinden verborgener Schätze lehrt. Auch besass er in Alpnach ein Bergwerk und nannte sich Herr vom Armloch am Giswilerstock, in welchem nach der Volkssage eine grosse Menge Goldes verborgen liegt. Das Volk hielt den Herrn vom Arniloch denn auch für ungeheuer reich, indem er nach Belieben Gold aus dem Loche herausnehmen könne, während andere Menschen, welche den Zauberspruch nicht kennen, die schönsten Goldstücke nur als Totenköpfe an's Tageslicht bringen.
Der Seminariherr konnte bannen, zruggthuä und andere wunderbare Dinge verrichten. Den verheerenden Mühlebach bannte er in seine Ufer; einen Ankendieb zwingt er auf geheimnisvolle Weise, das Gestohlene wieder zurückzugeben; einen Schlingel, der ihm beim Hause am See die Zwetschgen stiehlt, hält er im Baume droben festgebannt; einem Alpnacher zeigt er in einem Wasserglase seine gestohlene Ziege samt dem Diebe; den Arbeitern der Ziegelhütte verschafft er auf unerklärliche Weise genügend Baumaterial; in der Alp Unterwengen, Schwändi, vertreibt er mit seinem Segen drei verheerende Ungetüme; auf der gleichen Alp vertreibt er einen Teufel; freilich hat er das erste Mal dem Bösen selbst weichen müssen, da dieser ihm vorwarf, er sei ein Dieb; nun aber reitet der Seminariherr auf einem Pferde in die Alp, damit ja keine fremde Erde an seinen Füssen hafte, worauf er dem Hirten gebietet, die Hütte anzuzünden und das erste Tier, das daher komme, in's Feuer zu werfen, was indessen die Ä nicht thun, weil es das Hündchen des Seminariherrn ist. Das war aber nur eine List des Teufels, der diese Gestalt angenommen hatte. Nun sollten sie einen Arvenstock in die Erde vergraben. Es geschah. Der Semiariherr bohrte ein Loch, tat Geweihtes hinein und sagte, so lange nun dieser Arvenstock nicht verfaule, werde die Alp nicht gefährdet werden; was aber nachher geschehe, wisse er nicht. Schliesslich gebietet er den Sennen, allabendlich den Betenruf zu singen, um das Wiederkommen des Bösen zu hindern.
Ein Entlebucher wollte dem Seminariherr ein Pferd abkaufen. Da es aber in der Alp war, so musste jener warten, bis es herbeigeholt war. Während sie noch in Handel begriffen waren kam ein Alpnacher zum Pater. Den kaum in's Zimmer Getretenen überraschte er mit den Worten: „Ich weiss, was Du willst, mein guter Mann. Du willst die Geiss wieder, welche Dir letzte Nacht gestohlen worden ist." Der Mann verwunderte sich, dass der Seminariherr das schon wisse. Jetzt nahm dieser ein Glas und liess den Bestohlenen hineinschauen. Er sieht darin zu seinem Erstaunen den Dieb, den er gar gut kennt. Der Schelm steht gerade im Begriff die Geiss zu schlachten und will schon das Messer ansetzen. Dem armen Mann, wie er solches schaut, rollen die hellen Tränen über die Wangen, weil er sein Tier nun nicht mehr zu bekommen hofft. Allein der Pater spricht, er solle nur geschwind gehen und noch einen Mann mitnehmen, er werde frühzeitig genug ankommen. Der Mann befolgte alles, überraschte mit seinem Zeugen den Dieb und nahm sein liebes Tierchen wieder wohlbehalten in Empfang. Der Entlebucher schaute hernach ebenfalls in das Glas und sah, wie der Alpnacher dem Diebe die Geiss abnahm.
Als die Kirche in Sarnen gebaut wurde, waren den Arbeitern die Steine ausgegangen; diese wollten sich daher am folgenden Tage entfernen und anderswo Arbeit suchen, bis die Gemeinde hinreichend Baumaterialien gesammelt hätte. Allein derSeminariherr bat die Arbeiter zu bleiben, er werde ihnen schon Arbeit verschaffen; sie würden am andern Tage genügend Steine im nahen Mühlebach finden, die ihnen mit leichter Mühe könnten zugetragen werden. Und was geschah! In der folgenden Nacht hörte man ein Getöse im nahen Mühlebach, wie von herabstürzenden Steinen. Am folgenden Morgen zeigte sich dem erstaunten Volke eine Menge von schönen und grossen Steinen zum Kirchenbau.
Einmal kam ein Mensch, der an keinen Teufel und Herrgott glaubte, zum Seminariherr; nachdem dieser ihm mit Ernst zugeredet, ein anderes Leben zu führen, der Mann ihn aber nur auslachte und sich sogar bereit zeigte, den Teufel zu sehen, wofern es einen gäbe, hiess er ihn hinter seinen Rücken treten und auf die Alp Aecherli seine Augen zu richten, was jener auch tat. Da erblickte der Ungläubige den leibhaftigen Teufel, wie er seine krallige Tatze emporstreckte. Vor Schrecken sank der Sünder zu Boden und glaubte fortan unerschütterlich an Gott und den Satan.
Die Lungerer konnten auf der Seealp nicht mehr alpen und ersuchten daher den Seminariherr, er möchte kommen und die Alp segnen. Dieser sagte ihnen zu, stellte aber die Bedingung, dass sie alles thun sollten, was er droben verlange. Als nun der Seminariherr die Alp gesegnet hatte, befahl er den Än, sie sollen sein Hündchen, das bald kommen werde, in's Feuer werfen, sonst werde er in drei Tagen sterben. Das taten aber die Ä aus Achtung vor dem Seminariherr nicht, weshalb dieser erkrankte und nach drei Tagen starb.
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch