Diesen Spruch kennt man schon seit hundert Jahren. Einst sassen nach einer Ratsitzung die Männer um den Wirtstisch und einer sagte: «Ich kann es nicht verstehen, dass es auf dieser Welt so ungleich verteilt ist. Zu Lengnau und Büren wachsen Reben, und bei uns zu Grenchen sieht man nichts als Gestrüpp und Stauden, dass Gott erbarm. Von den steinigen Feldern in den Studen und in der Schmelzi nicht zu reden, weil's einem dort nur den Buckel krümmt.» Die am Tisch nickten und der Ammann meinte: «Wir lassen einfach den Herrgott kommen. Der pflanzt uns schon gute Reben an.» Damit waren alle einverstanden. Schon nach ein paar Tagen bekam der Herrgott vom Ammann einen Brief, und gleich darauf liess der Herrgott den Grenchnern ausrichten, er sei damit einverstanden. Es ging nicht lang, da kam der Herrgott selbst auf einem Esel gegen Grenchen geritten, gerade auf die Allmend zu. Dort stand bereits der Ammann auf einem grossen Stein und sagte: «Hier sollen nach dem Wunsch des Rates Reben wachsen.» Da sagte der Herrgott: «Schon gut, aber nehmt Euch unterdessen meines Esels an und sorgt für ihn. Und jetzt lasst mich allein. Ich will bei der Arbeit Ruhe haben!» Die Räte sahen dem Herrgott aus der Ferne zu.
War das nicht ein Wunder? Im Handumdrehen wuchsen Rebstöcke aus dem Boden, wurden grösser und grösser. Alles wäre jetzt gut gewesen, wenn nicht der Teufel die Räte geritten hätte. In ihrer Langeweile fingen sie an, den Esel zu necken, ihn am Schwanz zu reissen und herumzustossen. Da stampfte der Esel und schrie zum Herrgott. Der sah zu seinem Esel hinüber und rief: «Die Rebstöcke habe ich euch versprochen. Aber aus den Beeren gibt es nur sauren Wein.» Da machten die Räte lange Gesichter. Und die Frau des Sigristen sagte: «Ihr hättet den Esel des Herrgotts gescheiter behalten. Dann wäre unter den Räten noch einer mehr gewesen.»
Der Schreiber meinte: «Das mit dem sauren Wein kommt nicht ins Protokoll. Wir Grenchner bleiben beim Herrgott. Wir hätten den Esel des Herrgotts eben in Ruhe lassen sollen.»
Da meinte der Ammann: «Das mein ich auch. Wir bleiben bei Gott.»
«Ja», sagte der Sigrist, «vo Gränche by Gott, wo suure Wy wachst.»
Quelle: P. Keckeis, M. Kully, Sagen der Schweiz. Solothurn, Zürich 1987. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch