Im Feldmoos zu Oberrickenbach lebte vor Jahren ein redlicher Mann. Einst ging derselbe von Wolfenschiessen spät abends nach Hause zurück. Es war Winter und hell bestrahlte der Mond das schneebedeckte Tal. Plötzlich sah er einen Leichenzug des Weges kommen. Ein Pferd zog den Schlitten mit dem Sarg. Auf letzterem aber fass ein Mann, der einen roten und einen weihen Strumpf trug. In der begleitenden Menge erkannte er Kaplan und Sigrist und fast die ganze Bevölkerung von Oberrickenbach. Schweigend schritt der Zug vorüber und schien ihn nicht zu bemerken.
Als er nach Hause gekommen, fiel seiner Frau die verstörte Miene ihres Mannes auf. Vergebens bestürmte sie ihn aber, ihr den Grund seines veränderten Wesens mitzuteilen. Er vertröstete sie auf morgen. Mit Schrecken bemerkte er, als er sich zur Ruhe begab, dass er einen roten und einen weihen Strumpf trage. (Zu jener Zeit trugen die Männer in Unterwalden nämlich rote, die Weiber weisse Strümpfe.) Am Morgen hatte er in der Eile statt des seinen, einen Strumpf seiner Frau angezogen.
Er erkannte nun die Bedeutung jenes gespensterhaften Leichenzuges und dass er selbst jener auf dem Sarg sitzende Mann gewesen. Er teilte seiner Frau das Geschehnis mit, lieh den Kaplan holen und legte eine reumütige Beicht ab. Am nächsten Morgen war er eine Leiche.
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch