Pörtermelk war wohl 40 Jahre lang Alpgenosse von Enzimatt und Fontänen. In den ersten Jahren seines Älplerlebens hatte er einen gar treuen und gäbigen Hüttengespanen einen jungen, hübschen Burschen, der eine Liebste im Tale hatte, mit der er versprochen war. Wollte er etwa einmal zu Tal, so besorgte ihm der Melk das Vieh und so auch umgekehrt. Beide waren wie Brüder. Nur in einem Punkt musste Melk, der erfahrener war, mit seinem Kameraden aufbegehren und zwar, weil dieser, wenn er durstig in die Hütte kam, sofort in eine Mutte lag und in alle Hitze hinein eiskalte Milch trank. Melk verwies ihm das sehr und machte ihn auf die gesundheitsnachteiligen Folgen aufmerksam. Aber alle Mahnungen nützten nichts; der Bursche verwies auf seine kerngesunde Natur und auf seinen Durst, den er nur mit eiskalter Milch stillen könne.
Nach drei, vier Jahren zehrte Melks Kamerad zusehends ab, hustete und serbelte und sah jetzt, aber zu spät, den guten Rat ein. Im fünften Jahre, im März, starb Melks Kamerad allgemein betrauert, nicht am wenigsten von unserm Melk.
Im Frühjahr zog Melk nicht mehr so fröhlich wie sonst in die Alp, denn ein anderer, weniger Gastlicher, hatte nun den Platz für seinen verstorbenen Kameraden eingenommen. Als sie das Vieh mittags angebunden hatten und sich an das Käsen machten, sah Melk den verstorbenen Kameraden im Stall draussen bei der Türe stehen, die Arme auf die Untertüre stützend und mit unnennbar traurigem Blicke in's Freie schauend. So hatte er ihn manchmal gesehen. Am Abend, wenn Melk schlafen ging, krachte auch die Daster seines ehemaligen Kameraden. Im Herbst, als es an's Heimfahren ging, hörte er und auch sein neuer Kamerad ein durchdringendes Weinen, worauf Melk laut rief; „Wenn du, mein alter Gespane, weinst, so kannst mit mir kommen über den Winter, mir und meinen Leuten unschädlich," und alsogleich verstummte das Weinen. Daheim wies Melk dem Geiste einen Platz auf dem Ofenbänklein an, verlangte aber von ihm, sich nicht sehen zu lassen da ihn dieser wehmütige Anblick sehr betrübe. Alle Abende nun, wenn die Betglocke läutete, krachte das Ofenbänkli und auch so morgens. Hirtete Melk an Orten, wo er das Vieh vom Stall wegtränken, nickte so war es, als ob eine unsichtbare Hand das Vieh leitete, kein Haupt sprang fort. Auf diese Weise beherbergte er den Geist viele Jahre und hat auch manche Messe für ihn lesen lassen. Mitten im Sommer hörten nun Melk und seine Alpgenossen auf einmal ein helles Jauchzen. Von da an hat man den Geist nicht wieder gesehen; er war erlöst.
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch