Als im Jahre 450 nach Christus die Hunnen in Helvetien eindrangen, und weit und breit alles veheerten, kam auf ihrem Zuge auch ein Heerhaufe nach Solothurn. Tapfer verteidigten die Bürger, von burgundionischen Kriegern verstärkt die Vorstadt, aber ihre geregelte Kriegskunst musste der Zahl und dem unwiderstehlichen Anstürmen der Zerstörer weichen, die Stadt ward eingenommen, geplündert, und in Brand gesteckt; nur auf dem festummauerten Kirchhofe hielt sich ein Häuflein Bürger gegen die Übermacht der Feinde. In die steinerne Kirche und auf den Kirchhof (den jetzigen Friedhof, denn die Stephanskirche war die erste Pfarrkirche der Stadt) hatte man das Liebste geflüchtet, und Weiber, Kinder und Greise beteten im Innern des Gotteshauses um Sieg und Rettung. Oft schon war die Mauer der letzte Zufluchtsort gewesen, doch jetzt fing sie an zu wanken, und mit fast übermenschlicher Anstrengung konnten sich die Solothurner kaum bis zum Einbruch der Nacht halten; nun ruhte der wütende Kampf, aber gegen Mitternacht stürmten die Hunnen wieder heran in schwarzen Haufen und drohten Verderben. Da erhoben sich aus den Gräbern die Ahnen, und grimmig kämpften die bleichen, übernatürlichen Gestalten mit den alten rostigen Schwertern gegen die grimmigen Krieger, bis diese erschrocken sich zu schneller Flucht umwandten. Nachdem so die toten Helden ihr Werk vollbracht, stiegen sie wieder hinab ins stille Grab, und die Enkel dankten Gott für die unverhoffte Rettung.
Aus: R. M. Kully, H. Rindlisbacher, Die älteste Solothurner Sagensammlung, in: Jurablätter. Monatsschrift für Heimat- und Volkskunde, 1987. Mit freundlicher Genehmigung von R.M.Kully. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch