Sehr weit verbreitet und auch bei uns herrscht der Volksglaube, dass die Irrlichter Geister von solchen seien, die vorzüglich wegen Versetzung von Marksteinen, aber auch wegen anderer Vergehen nachts umherwandeln und warten müssen bis eine fromme Christenseele sie erlöst. Ein gutmütiger, doch eben nicht gar kluger Korbmacher von Flummental, der steif und fest an die «brünnlige Manne» glaubte, gab mir darüber folgenden Aufschluss:
Wenn man nachts, vorzüglich zwischen elf und ein Uhr, an Kreuzstrassen, auf Kirchhöfen, oder auf Sümpfen, ein Flämmchen umherschweben sieht, so muss man nur nicht davonfliehen und beten, sonst wird man gewiss von dem bösen Geiste verfolgt, sondern fluchen muss man, recht derb fluchen, so dass man ihn dadurch vertreiben kann. Ganz anders hingegen hat man sich zu verhalten, wenn man bei einem Fallgatter, hinter Marksteinen oder unter Stegen über Bäche und Gräben, niessen, husten oder sonst verdächtige Äusserungen hört; dann muss man gar freundlich den Geist grüssen und durch einen frommen Wunsch zu erlösen suchen. Vorzüglich aber muss man sich hüten, die «brünnlige Manne» zu necken, sonst gerät man gewiss ins Unglück. Als Belege zu seinen Lehren erzählte mir der ehrliche Korbmacher folgendes:
Einmal, so sagt man, ging der Sohn der Wirtin zum Neuhäuschen, nachts nach Hause. Als er nun einen Steg betritt, der über einen Graben führt, so hört er unter demselben Niessen; er, obschon ihm das Herz ein wenig zu klopfen anfängt, wohlwissend, mit wem er’s zu tun hat, wünscht ganz freundlich: Helf dir Gott! und dies tut er zwölfmal hintereinander. Endlich aber beim dreizehnten Male reisst ihm die Geduld, er glaubt, der Geist wolle ihn nur foppen und flucht: Hol dich der Teufel! Obschon er mit schnellen Schritten davoneilt, hört er doch noch eine feine Stimme jammern: Hättest du nur noch einmal deinen frommen Wunsch wiederholt, so wäre ich erlöst worden. Aber jetzt muss ich wieder dreizehn Jahre herumwandern, bis ich jemanden erscheinen darf! Er eilt raschen Schrittes nach Hause, kommt ganz ermattet an, legt sich zu Bette, und steht nimmer auf, denn eine Auszehrung macht bald seinem Leben ein Ende.
Ein anderes Mal sassen einige junge Burschen und Mädchen in einer ziemlich einsamen Schenke beieinander und tranken und spielten. Als sie so ziemlich vom Wein erhitzt sind, kommt das Gespräch auch auf die «brünnlige Manne»; alle äussern sich schüchtern und erkennen in Furcht und Angst ihre Macht an, nur ein froher, junger Mensch von 18 Jahren, der jüngste von drei Brüdern, macht sich über die andern und ihre Furcht lustig, und wettet, obschon niemand seine Wette annehmen will, und alle ihm von dem tollen Beginnen abmahnen, er wolle die «brünnlige Manne» zum Kampfe herausfordern. Er stellt sich unter die Tür und ruft mit lauter Stimme sein Holla und Harus in die dunkle Nacht hinaus und sieh! es sammeln sich auf der nächsten Wiese einige wandernde Flämmchen, und bald rückte eine ganze Schar auf die Schenke los. Da erfasst bange Furcht die Herzen aller, nur der kühne Herausforderer bleibt, mit einem Holzscheite in der Hand bewaffnet, trotzig stehen und fängt mit einem vor ihm stehenden «brünnligen Manne» so zu schelten und fluchen an, dass er nicht an ihn kommen kann und seine Hand zur Versöhnung verlangt. Aber der kluge junge Mensch hält ihm sein Scheit Holz dar, in dem nachher die schwarzen Spuren der fünf Finger noch deutlich zu sehen sind und jagt mit seinem gewaltigen Fluche die ganze Schar der Geister in die Flucht; doch muss er seine Verwegenheit auch mit einem frühen Tode bezahlen.
Aus: R. M. Kully, H. Rindlisbacher, Die älteste Solothurner Sagensammlung, in: Jurablätter. Monatsschrift für Heimat- und Volkskunde, 1987. Mit freundlicher Genehmigung von R.M.Kully. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch