Einer von den beliebtesten Pfarrherren von Giswil war der heute noch in guter Erinnerung fortlebende Stockmann zu Anfang des verflossenen 19. Jahrhunderts. In den ersten Tagen seiner Wirksamkeit war er äusserst streng, kein Bauer hätte Sonntags ein Burdeli auf die Alp nehmen sollen, überall wollte er Neuerungen einführen und alte Bräuche und Sitten abschaffen. Auf die alte Sitte des Samichlaustrichelns hatte er es, von der Ansicht ausgehend, dass dies nur die Nachtschmärmerei befördere, ganz besonders abgesehen. Er verbot also in seiner Pfarrei das Samichlaustricheln. Nun erhob sich bei Jung und Alt ein gewaltiges Kampfgeschrei gegen den neumodischen Pfarrer. Dieser aber blieb bei seinem Verbot. Die Jungmannschaft aber kehrte sich hieran nicht, wählte den Samichlaus, der beauftragt wurde, zum Pfarrer zu gehen und die Albe zu leihen. Da gab es aber kurzen Bescheid und keine Albe für den Samichlaus. Mürrisch und trotzig schied der Bursche von dannen, seinen Kameraden den Vorfall erzählend.
Es unterblieb also für dieses Jahr das Samichlaustricheln. Darüber weinten die Kinder, die Mütter brummten, die Männer schimpften. Statt dass früher die Kinder hübsch daheim blieben und sorgfältig die zahllosen Vaterunser in's Kerbholz hickten, trieben sie sich aus Ärger und Verdruss draussen herum.
Es war die Zeit, da alter Übung gemäss das Samichlaustricheln stattfand, gekommen. Es mar Mittagszeit und unser Pfarrer sann in seinem trauten Stübchen. Da, was klang an sein Ohr? Grosse Schellen summten und die kleineren bimmelten durcheinander, als ob die ganze Jungmannschaft zum Samichlaustricheln ausgezogen wäre. Wie vom Blitz gerührt fuhr der Pfarrer auf. Ein schier endlos langer Zug von Leuten bewegte sich vom Eihaus gegen den Dürrast; in der Mitte schritt gravitätisch der Samichlaus, angetan mit blendendweisser Albe, den Bischofsstab in der Hand und die Mytra auf hocherhobenem Haupte. Unser Pfarrer schickte sich sofort an, zu seinem Freunde und Gemeindepräsidenten, Peter Josef Wolf im Dürrast, zu gehen, um dort gegen die unerhörte Widersetzlichkeit sich zu beschweren. Nicht aufhören wollte das Gebimmel der Schellen und das Gejohle der Leute.
Eiligen Schrittes erreichte der Pfarrer den Dürrast und fragte in erregtem Tone, wer sich wohl die Freiheit erlaube, sein Verbot zu übertreten. Wie erstaunt Ivar aber der Präsident, als er erfuhr, es sei ein Samichlaus herumgefahren. Er hatte von all dem nichts gesehen und nichts gehört. Erkundigungen ergaben auch, dass die Jungmannschaft zum Samichlaustricheln nicht ausgezogen sei.
Verblüfft nahm der Pfarrer Abschied vom Präsidenten; es stand bei ihm nun fest, dass die armen Seelen auf das Gebet der unschuldigen Kinder nicht verzichten und dass das Unliebsame des Samichlaustrichelns mehr als ausgewogen werde durch dies fromme Gebet.
Von dieser Zeit an gab es in Giswil wegen dem Samichlaustricheln keine Differenzen mehr; Jahr für Jahr schritt der Samichlaus mit der pfarrherrlicheu Albe angetan unter dem Gejohle der Jungmannschaft die stille Ortschaft ab. Der Pfarrer selbst war ein Freund dieser Sitte geworden.
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch