Der Glasberg

Land: Schweiz
Region: Ajoie
Kategorie: Zaubermärchen

Einst herrschte auf Schloss Asuel ein Mann, der hatte nur eine einzige Tochter.

Kurz nach ihrer Geburt fand man in ihrer Wiege eine kleine Schlange. Man versuchte sie zu fangen, doch sie war blitzschnell und kehrte jeden Tag wieder in die Wiege zurück. Das Kind freute sich über das kleine Tier, und so liess man die Schlange schliesslich in Ruhe. Bald spielte das Mädchen mit der Schlange, nahm sie überallhin mit und niemand im Schloss wunderte sich mehr über die seltsame Gefährtin.

Je älter das Mädchen wurde, desto grösser wurde die Schlange. Mit der Zeit war sie so gross, dass sie nicht mehr ins Schloss durfte. Sie bekam einen Platz im Wald, und dort besuchte die junge Frau jeden Tag.

Die junge Frau war so hübsch, dass viele Grafensöhne und Prinzen um ihre Hand anhielten. Die jungen Herren von Pleujouse, Montvoie, Ravine, Roche d'Or und sogar von Saint-Ursanne ritten zum Schloss. Aber sie wollte nicht heiraten, sie ging lieber in den Wald zu ihrer Freundin, der Schlange.

Wütend versuchten die jungen Männer die Schlange zu töten, aber es gelang ihnen nicht. Aber auch der Herr von Asuel ärgerte sich darüber, dass seine Tochter alle Männer abwies. In seiner Wut liess er einen Glasberg erbauen und die junge Frau auf die Spitze des Berges bringen. Dann liess er ausrufen: «Wem es gelingt, meine Tochter vom Glasberg zu holen, bekommt sie zur Frau!»

Man kann sich vorstellen, dass die Prinzen und jungen Grafen sofort versuchten, den Glasberg zu erklimmen, aber er war glatt wie Eis, so dass nicht einmal ein Eichhörnchen hätte hinaufklettern können.

Niemand wusste, dass die Schlange jeden Abend auf den Glasberg hinauf kroch, um die junge Frau zu trösten.

Nicht weit vom Glasberg wohnte ein junger Mann. Er war arm und arbeitete als Holzfäller und Jäger. Oft legte er Schlingen aus und schaute am nächsten Tag nach, was er gefangen hatte.

Einmal fand er eine Schlange, die ihm in die Falle gegangen war. Sie blickte ihn mit ihren geheimnisvollen Augen an und sprach: «Lass mich frei und ich will dir sagen, wie du auf den Glasberg kommst und die Grafentochter befreist.»

Der junge Mann löste die Schlingen, und die Schlange sprach: «Geh zum Schloss von Pleujouse und halte dort für den Burgherrn Totenwache. Dann kehre hierher zurück.»

Nach diesen Worten verschwand die Schlange und der junge Mann machte sich auf zum Schloss von Pleujouse.

Währenddessen lag der Herr von Pleujouse im Sterben. Seine drei Söhne sassen bei ihm und lauschten auf seine letzten Worte: «Ich nehme nun Abschied. Wer am längsten bei mir Totenwache hält, soll die alten Holzschuhe bekommen, die unter meinem Bett liegen». Danach schloss er die Augen für immer.

Die drei Söhne sassen noch eine Weile bei dem Verstorbenen, aber schon bald sagte einer nach dem anderen: «Was soll ich hier sitzen wegen eines Paares alter Holzschuhe! Das soll ein anderer tun», und sie verliessen den toten Vater. Da kam ihnen der junge Jäger gerade recht, der bald darauf beim Schloss auftauchte. Sie wiesen ihm den Platz am Totenbett des Vaters und sagten: «Zum Lohn darfst du dir die alten Holzschuhe nehmen, die unter dem Bett liegen.»

So wachte der junge Mann am Bett des Verstorbenen, erhielt am nächsten Tag die alten Holzschuhe, und wanderte zurück zum Wald, wo die Schlange schon auf ihn wartete.

Sie sprach: «Nicht weit von hier liegt meine alte Schlangenhaut. Nimm sie mit dir und geh zum Glasberg. Mit den alten Schuhen wirst du mühelos hinaufgelangen und bald schon zum Herrn von Schloss Asuel werden.»

Der junge Mann bedankte sich bei der Schlange, fand bald die alte Schlangenhaut, nahm sie mit sich und bestieg mit Hilfe der alten Schuhe den Glasberg.

«Wie konntest du hinaufgelangen?», fragte die junge Frau.

Da erzählte ihr der junge Mann alles und zeigte ihr die alte Schlangenhaut. Als die junge Frau das Zeichen ihrer Gefährtin sah, küsste sie den jungen Mann und willigte in die Heirat ein.

Bald wurde Hochzeit gefeiert und später, als der alte Graf starb, wurde der junge Mann zum Schlossherrn von Asuel, genauso, wie es die Schlange vorausgesagt hatte.

Die Schlange aber hat man von diesem Tag an nie wieder gesehen. Manche sagen, jemand habe sie getötet, andere glauben, sie sei ins Reich der Schlangen zurückgekehrt. Die Schlossherrin aber hat ihre Helferin Zeit ihres Lebens nicht vergessen.

 

Fassung Djamila Jaenike, nach: G. Lovis, J. Surdez, Vieux Contes du Jura, Porrentruy 1991 unter dem Titel «La montagne de verre». Aus dem Französischen übersetzt und neu erzählt unter Mitwirkung von Maggie Rüeger.

© Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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