Vor alten Zeiten durchzog viel heimatloses Volk, Korbflechter, Scherenschleifer, Kesselflicker usw. das Land. Es verlegte sich jedoch mehr auf den Bettel als auf die Arbeit, eine wahre Landplage besonders für die armen Bauern, in deren Ställen und Scheunen sie sich aufhielten. Warum litt man sie? wird mancher fragen aus Furcht! Denn zu jenen Zeiten herrschte noch dunkler Aberglaube, und man sah in jedem herumziehenden Vaganten einen Schwarzkünstler, in jeder hergelaufenen Dirne eine Hexe oder Zauberin. Darum gab man ihnen reichlich, damit sie Menschen und Vieh nicht verhexten und verzauberten.
Wehe dem Bauer, dem der Geiz höher ging, als die Furcht! Man erzählte Schauderdinge, wie sie sich gerächt hatten. Einst kam eine heimatlose, hochschwangere Weibsperson zu so einem geizigen Bauern und bettelte um Gotteswillen um einen Teller Sulz, ein Lieblingsgericht der Appenzeller. Da kam sie schön an. „Was!“ rief zornig der Bauer, „meine schöne Sulz soll ich einer hergelaufenen Betteldirne geben?“ Sie weinte und flehte, umsonst. „Und wenn ich eine ganze Stande (Bottich) voll hätte, gäb ich dir nichts“, so tobte der Bauer. Sie beschwor ihn um aller Heiligen willen, er solle sich ihres Zustandes erbarmen; schon lange schmecke ihr kein Essen mehr, all ihr Sehnen und Verlangen sei nach Sulz, sie hoffe sich zu erholen, wenn sie geniessen könnte, sonst müsste sie verschmachten. Desto besser schrie der Bauer: „Wenn du mit deiner Bettelbrut nur geschwind krepierst, geh zum Henker! Du gehörst doch zu ihm.“ Wie elastisch schnellte die zusammengesunkene Gestalt empor, hochaufgerichtet stand sie vor dem Bauer, erhob drohend die Rechte zum Himmel und sprach mit flammendem Blick und furchtbarer Stimme: „Hartherziger Mensch, wie du mir einen Teller mit Sulz verweigerst, so sollst auch du keine mehr geniessen in deinem Leben, und wie du mir keine Ruhe gönnst in deinem Hause, sollst du keine Ruhe finden im Grabe, sondern Jahrhunderte lang musst du auf derselben Stelle, auf der ich mein Leben aushauche mit einem Teller Sulz stehen, und was du mir verweigerst, sollst du jedem anbieten, aber niemand wird es dir abnehmen.“ Dann schritt sie langsam von dannen. Der Bauer konnte wirklich keine Sulz mehr essen; wenn er schöpfen wollte, so fing es in dem Gefäss an zu wimmern und klagen, zu ächzen und stöhnen, dass ihm die Haare zu Berg standen. Bald darauf starb er. Und auch der zweite Fluch ging in Erfüllung; genau an derselben Stelle, wo man die Bettlerin tot aufgefunden hatte, stand nun der geizige Bauer mit dem Teller voll Sulz, unter kläglichen Gebärden den Vorübergehenden anbietend, das jedoch niemand annahm, die Beherzten schritten rasch vorüber, die furchtsamen flohen ihn.
Quelle: Dr. J. Heierli, Sagen aus dem Kanton Appenzell. Schweizerisches Archiv für Volkskunde Band 10,1906.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch