Die fahrenden Schüler

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

So nannte man zu alten Zeiten die Studenten aus fremder Herren Ländern. Und weil sie so gelehrt waren, auch in Sprache, Sitten und Kleidung so ganz verschieden von den Appenzellern, hatte man gewaltigen Respekt vor Ihnen, denn solche, glaubte jeder, kennen die Zauberei aus dem Fundament. Kamen solche „Schüler“ in ein Dorf, und kehrten in einem Wirtshaus ein, schnell war die Stube überfüllt von Bauern, die um Rat und Hülfe baten. Dem einen war sein Weib, dem andern sein Kind, dem dritten sein Vieh verhext, usw. Die lustigen Gesellen merkten gleich, wie viel die Uhr geschlagen, gaben allerlei Ratschläge, verschrieben manch Tränklein und flüsterten geheime Wundermittel ihnen in die Ohren. Was kümmerte es sie, half es oder nicht, sie kamen doch nicht mehr in diese Gegend. Ihnen machte es Spass und Freude, besonders als ihnen nach und nach so viel blanke Silberstücke in die Hand gedrückt wurden. Denn wo wäre ein Student, der das Geld nicht zu gebrauchen wüsste? Aber Wunderdinge konnten diese Schüler ausrichten.

Einst kam ein solcher in eine Berggegend unseres Ländchens; es war zur Zeit der Heuernte. Bei einer Wiese stand er stille, schaute dem regen Treiben der Arbeiter zu, plauderte und scherzte mit den Mädchen, die ihm jedoch sehr furchtsam Antwort gaben. Plötzlich rief der Bauer: „He! Herr Schüler, es wäre besser, Ihr würdet uns helfen das dürre Heu unter Dach zu bringen. Seht Ihr nicht, wie sich die Wolken türmen, es gibt ein Gewitter“. „Was gebt Ihr mir, wenn ich es allein, vor dem Ausbruch des Gewitters in die Scheune bringe?“ rief lachend der Schüler. „Einen Brabantertaler“, sagte der Bauer. „Topp, es gilt“, rief der Schüler, murmelte unverständliche Worte, und: Wunder über Wunder! Die Mahden (so nennt man die langen Reihen aufgeschichtetes Heu) fingen an zu kriechen, krümmten ihre Rücken wie Raupen (Teufelskatzen) und krochen in aller Eile der Scheune zu, eine nach der andern die Tennleiter hinauf. Auf dem Heuboden legten sie sich friedlich nebeneinander, und in kurzer Zeit war alles Heu unter Dach und Fach. Mit Staunen und Entsetzen hatten der Bauer und seine Arbeiter zugeschaut; sie durften sich nicht rühren, aus Furcht, die Mahden könnten um ihre Beine kriechen. Als die letzte in der Bühne war, gab der Bauer dem Schüler den Taler. Er hätte ihn lieber durchgeprügelt, wenn er nicht Unheil gefürchtet hätte, denn er glaubte steif und fest, sein Heu sei verhext. Der Schüler zog fröhlich seines Weges. Der geängstete Bauer, wusste lange nicht, was er mit dem Heu beginnen solle. Weil es immer so ruhig blieb, und kein Blättchen sich bewegte, wagte er es, einem halbkrepierten Vieh davon zu geben, weil der Schaden nicht gross sei, wenn es zu Grunde gehe. Aber siehe! es fing an sich zu erholen. Jetzt wurde der Bauer beherzter, gab einer Kuh von dem Heu. Diese gab viel mehr und fettere Milch als früher. Nun wuchs dem Bauer der Mut, er fütterte alle seine Kühe mit dem Heu und trug grossen Nutzen davon. Wie sehnlich er alle Heuernte einen Schüler herbeiwünschte, lässt sich denken, aber es kam keiner mehr.

Ein andermal kam ein Schüler in ein Bergdorf, und ging eben beim Schulhause vorbei, als die Kinder lärmend herausstürzten. Die armen Kleinen kannten ihn nicht, sonst hätten sie es unterlassen, ihn zu necken; so aber spotteten sie über ihn, riefen alle erdenklichen Schimpfnamen und zogen ihm mit grossem Geschrei nach. Eine Weile liess der Schüler es sich gefallen; aber endlich packte er einen Knaben und schlug ihm mit der Hand auf sein Lästermaul. Welch ein Schrecken! er konnte kein Wort mehr sprechen. Schreiend und heulend zog sich die Schar zurück, erzählten es den Eltern und wiesen auf den zitternden Knaben, der nur lallen, aber kein Sterbenswörtchen mehr reden konnte. Alles, Jung und Alt, eilten nun dem Schüler nach; etwa um ihn zu züchtigen? Nein bewahre! Um ihn zu bitten, dass er dem Knaben die Sprache wieder zurückgebe. Sie holten ihn bald ein. Lange wollte der Schüler nichts von der Sache hören; endlich erbarmte er sich, schlug dem Knaben wieder aufs Maul, und dem Schlag nach konnte er reden wie ein Papagei. Der Schüler zog fröhlich von dannen, denn er war reichlich beschenkt worden, und freudig klimperte er mit den Silberstücken.

Mein Grossvater erzählte einst: „Ich war ein unbändiger Bub, frech und grob. Begegnete mir eines Abends ein fahrender Schüler und fragte nach dem Weg. „Geh nur der Nase nach“, spottete ich. „Wart Bürschchen, dich werd ich kriegen“, sagte er zornig. „Und du kriegst mich nicht“, rief ich lachend und eilte wie ein Reh nach Hause. Nach dem Nachtessen ging ich wie gewöhnlich zu Bett, aber kaum hatte ich mich hineingelegt, als eine Elster an das Kammerfenster pickte und mir zurief: „Mach auf, Kleiner, ich will dir recht schöne Geschichten erzählen“. Mit einem Sprung war ich aus dem Bett, eine Elster zu haben, die sprechen könnte, ja, das wäre eine Freude; aber auf dem halben Weg stand ich stille; ein Gedanke kam plötzlich über mich: eine schwatzende Elster ist gewiss eine Hexe. Ich kroch wieder in mein Bett, zog die Decke über die Ohren, damit ich sie weder sehe noch höre. Auf einmal wurde die Kammertüre aufgerissen, mein Vater trat ein! „Bube, sprach er zornig, was hast du getan“? Ich sagte ihm, was ich dem Schüler für eine Antwort gegeben. „Ein andermal halt dein gottloses Maul, sonst gibt es Unglück“. Dann ging er zum Fenster, wo die Elster noch pickte, klemmte eine Salomonische Wurzel (bekanntlich ein Schutz gegen Hexen) zwischen Fenster und Pfosten, schrieb Sprüche übers Fenster, machte drei grosse Kreuze an die Wand, und siehe! die Elster flog fort, kam auch nicht wieder, ich konnte nun ruhig schlafen, aber nie habe ich wieder einen Schüler gefoppt.

Quelle: Dr. J. Heierli, Sagen aus dem Kanton Appenzell. Schweizerisches Archiv für Volkskunde, Band 10,1906.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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