Gänseblume

Land: Irland
Kategorie: Sage

Die vierblättrigen Kleeblätter sind ein wahres Zauberkraut. Sie schützen davor, in den Bann des Kleinen Volkes zu geraten, und verhelfen gleichzeitig dazu, die Unterirdischen zu sehen. Die Zaubersalbe, mit denen die Pixies ihren neugeborenen Kindern die Augenlider einreiben, soll aus zerdrückten vierblättrigen Kleeblättern zubereitet sein. Es gibt viele Geschichten über Menschen, denen, auf einem Wagen Heu oder Grünfutter sitzend, während der Heimfahrt plötzlich die Augen aufgingen. Sie sahen die Wiesen, Wälder und Felder plötzlich bevölkert mit unzähligen Kleinen Leuten; denn unter ihrer Wagenladung Gras war ein vierblättriges Kleeblatt geraten. 

Vor einiger Zeit lebte auf dem Bauernhof in West Buriens ein Bauer, der hatte eine wunderschöne weisse Kuh. Gänseblume hiess die Kuh, und sie hatte das ganze Jahr hindurch, von einem Kalb zum nächsten, ihr Euter voller Milch. Und diese Milch war die beste und fetteste weit und breit. 

Obwohl aber Gänseblumes Euter immer prall gefüllt war, gab sie doch nie mehr als fünf Liter Milch am Tag her. Mitten während des Melkens, wenn ihr Euter noch halb voll war, stellte Gänseblume ihre Ohren wie zum Horchen spitz nach vorn, muhte leise und hielt die Milch zurück. Und wer auch immer die Kuh melkte, musste dann unverrichteter Dinge und mit halbgefülltem Eimer abziehen. 

Eines Abends spät ging ein Mädchen, das auf dem Bauernhof aushalf, auf die Wiese, die Kühe zu melken. Damals aber trug man noch die Lasten auf dem Kopf, und der Milcheimer hatte scharfe Kanten. 

Das Mädchen rupfte sich nach vollbrachter Arbeit einen Bund Gras ab, legte ihn auf ihren Kopf und stellte auf dieses Polster den vollen Milchkübel. 

Als nun das Mädchen zum Weidezaun kam, hielt sie einen Moment an, um noch einmal nach Gänseblume zurückzuschauen. Es war dämmerig geworden. Die Stunde zwischen Tag und Nacht, doch gerade noch hell genug, um Gänseblume ganz deutlich zu sehen. 

Die Kuh stand unbeweglich still auf der grünen Wiese. Um sie herum schwärmten Hunderte von kleinen Männchen. Sie streichelten und kitzelten die Kuh, kraulten und liebkosten sie, und Gänseblume muhte sanft und zärtlich. 

Einer aus dem Kleinen Volk, er schien ein bisschen grösser zu sein, lag auf dem Rücken unter der Kuh. Das Mädchen erkannte sofort, dass es ein Pixie war, denn er hatte rotes Haar, das in Büscheln nach oben stand, und einen riesengrossen Mund. Der Pixie streckte seine Beine in die Luft, gerade unter das Euter der Kuh, und die anderen Kleinen kletterten der Reihe nach an seinen Beinen hinauf und melkten sich, auf den Zehenspitzen stehend, Gänseblumes Milch direkt in ihre Münder. 

Lange stand das Mädchen da am Zaun und schaute den Kleinen verwundert zu. Aber es wurde dunkel, und so drehte sie sich endlich um und ging nach Hause.


Hier müsste die Geschichte enden – aber das Mädchen wurde zu Hause von der Bäuerin mit «Wo warst du die ganze Zeit» und «Wo hast du dich rumgetrieben» empfangen. Und so erzählte sie mit grossen Augen der Bauersfrau ihr Erlebnis.


«Papperlapapp», sagte die Frau und «Das glaub ich dir nicht.»


Sie nahm dem Mädchen aber das Bündel Gras vom Kopf und zupfte es beim Licht der Stalllaterne auseinander. Und da, unter Gräsern und Huflattichblättern, Hahnenfuss und Butterblumen, fand sie ein vierblättriges Kleeblatt. Das überzeugte die Bäuerin zwar, aber sie beliess es nicht dabei. Sie lief ins Dorf zu ihrer Mutter, die eine weise Hühnerfrau war. Dort holte sie sich Rat. Sie war nämlich eine sparsame Hausfrau und wollte die gute Milch nicht mit den Pixies teilen.


Die weise Hühnerfrau warnte sie. «Ich weiss wohl ein Mittel, dass das ganze Kleine Volk vergrault. Es ist ein Absud aus Salz und Fisch. Diesen Geruch können sie nicht leiden. Ich fände es aber sehr unklug, die Unterirdischen zu vertreiben. Sie haben euch Glück gebracht und euer Vieh gedeihen lassen.»


Nun, die sparsam denkende Bauersfrau kochte trotzdem einen Brei aus Stockfisch, Hering und Salz und rieb Gänseblumes Euter damit ein. Ja, das Mittel wirkte. Das Kleine Volk der Pixies floh vor dem Gestank. Gänseblume gab nun zwar ihre ganze Milch her, aber es war nicht ein Viertel von dem, was sie vorher hatte.


Jeden Abend, wenn der Mond aufging, stand Gänseblume auf der Wiese und muhte jämmerlich nach ihren kleinen Freunden. Sie magerte schrecklich ab, und nach einigen Tagen war ihre Milch ganz versiegt. Ich weiss nicht, was aus Gänseblume wurde, aber auf dem Bauernhof wollte nichts mehr glücken, seit dem Tag, an dem die Frau das Kleine Volk verjagt hatte.

Aus: Kindermärchen aus aller Welt, Mutabor Verlag

Diese Website nutzt Cookies und andere Technologien, um unser Angebot für Sie laufend zu verbessern und unsere Inhalte auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie können jederzeit einstellen, welche Cookies Sie zulassen wollen. Durch das Schliessen dieser Anzeige werden Cookies aktiviert. Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Cookie Einstellungen

Diese Cookies benötigen wir zwingend, damit die Seite korrekt funktioniert.

Diese Cookies  erhöhen das Nutzererlebnis. Beispielsweise indem getätige Spracheinstellungen gespeichert werden. Wenn Sie diese Cookies nicht zulassen, funktionieren einige dieser Dienste möglicherweise nicht einwandfrei.

Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Das können unter Anderem folgende Cookies sein:
_ga (Google Analytics)
_ga_JW67SKFLRG (Google Analytics)
NID (Google Maps)