Eine Frau wünschte sich einen Sohn und konnte keinen bekommen. Da befragte sie eine Hexe, die ihr einen schönen rotbackigen Apfel gab und ihr sagte, sie solle nach Hause gehen und dort den Apfel essen. Dann würde sie einen Sohn bekommen.
Und so machte sie es. Sie schälte den Apfel und ass ihn. Ihre Dienerin, die sehr genäschig war, ass heimlich die Schalen.
Nach einiger Zeit bekam die Dame ein schönes Bübchen und am selben Tag auch die Dienerin eines. Das der Dienerin war besonders schön, rosig und glatt wie die Apfelschale, die sie gegessen hatte. Sie wurden Belpomo-Schönapfel und Bellascorza-Schönschale genannt. Beide wuchsen kräftig heran und liebten sich wie Brüder.
Eines Tages, als sie auf die Jagd gingen, verirrten sie sich in einem Wald und je mehr sie versuchten herauszukommen, um so dichter wurde der Wald. Es wurde spät und sie hatten grossen Hunger. Endlich fanden sie ein schönes Schloss, das mitten im Wald lag. Sehr froh klopften sie ans Tor: tum, tum, tum. Da kam ein schönes Mädchen, öffnete ihnen und lud die Jünglinge sehr freundlich ein, ins Haus zu kommen, denn sie hatte sofort eine grosse Liebe zu Belpomo gefasst.
Sie merkte, dass ihre Gäste Hunger hatten und hiess sie sich an den Tisch setzen. Dann legte sie ihre beiden Hände auf die Platte, da erschienen wie durch Zauberei: Brot, Fleischgerichte und Süssigkeiten.
Am Abend kam der Zauberer heim, schnupperte in der Luft und sagte: „Morgen, meine liebe Tochter, werden wir einen guten Bissen haben. Ich rieche Menschenfleisch."
Die Jungfrau ging und lief zu Belpomo, der sich mit seinem Freund verborgen hielt und sagte ihm, welche Gefahr ihn erwartete. Sie beschlossen nun, den Zauberer einschlafen zu lassen, und dann würde man sehen, was zu machen war.
Nach kurzer Zeit hörte man ein dumpfes Geräusch, das in Zwischenräumen das ganze Haus erzittern liess. Das war der Zauberer, der schnarchte.
Corinna stand auf der Lauer, ging in das Zimmer des Vaters und löste ihm vom Gürtel den Schlüsselbund. Sie schlossen damit den Geldschrank auf, bemächtigten sich der Beutel mit schönen Goldstücken und holten aus der Stallung einen Wagen mit zwei Pferden. Bellascorza sprang auf den Bock und fort ging es in eiliger Flucht.
Am Morgen wachte der Zauberer auf, rief nach der Tochter. Niemand kam. Er stand auf, blickte überall herum, fand niemanden. Da sah er den Geldschrank offen und die Haustüre weit aufgesperrt. Da merkte er, dass die drei entflohen waren. Er ging ins Haus, zog die Siebenmeilenstiefel an und lief und lief. Aber es gelang ihm nicht, sie zu fangen, sie waren schon zu weit voraus. Da schrie er hinter ihnen drein: „Pomo, Belpomo, wenn du in der Hälfte des Weges sein wirst, wirst du einer Katze begegnen, die dich und deine liebe Corinna zerkratzen wird. Wer es hört und verrät, wird in eine Marmorstatue verwandelt werden."
Belpomo und Corinna hörten nicht, denn sie waren in der Kutsche eingeschlossen. Aber Bellascorza hörte es und war auf der Hut. Wirklich begegneten sie einer Katze, die sie zu kratzen versuchte, aber mit einem Peitschenhieb schlug er sie tot. Die zwei in der Kutsche wollten wissen, was vorging. Aber Bellascorza sagte nichts, damit er nicht in Marmor verwandelt würde.
Die Seele der toten Katze kehrte zum Zauberer zurück und dieser vernahm, dass der Streich nicht gelungen war. Da schrie er wieder: „Pomo, Belpomo, wenn du in der Hälfte des Weges bist, wirst du einem Hündchen begegnen, das dich beissen wird, dich und deine liebe Corinna. Wer es hört und verrät, wird in eine Marmorstatue verwandelt."
Sie hörten es nicht in der Kutsche, aber Bellascorza hörte es gut, gab acht und tötete den Hund mit dem Peitschenstiel. Aber die Seele des Hundes kehrte zum Zauberer zurück. Der rief: „Pomo, Belpomo, wenn du bei deiner lieben Corinna schläfst, wird um Mitternacht ein Wolf kommen, der wird euch fressen. Wer es hört und verrät, wird in eine Marmorstatue verwandelt."
Bellascorza, der schon an die Stimme des Zauberers gewöhnt war, hörte es und er beschloss, sich in dem Zimmer der Vermählten zu verbergen, um sie zu verteidigen.
Um Mitternacht hörte man einen grossen Lärm. Das war der Wolf mit den sieben Köpfen, welcher auf dem Dach herumlief und suchte, wo er ins Haus könne. Bellascorza schoss mit seiner Flinte einen der Köpfe nach dem anderen, in alle jagte er eine Bleikugel und der Wolf fiel vom Dach herunter und war tot.
Nun waren aber die beiden Geretteten sehr neugierig, wie Bellascorza alle diese Gefahren beschwören konnte. Jedoch er wollte es nicht sagen, sonst wäre er in eine Marmorstatue verwandelt worden. Aber sie bestanden darauf und baten und baten. Da wollte er sie befriedigen, in der Hoffnung, dass die Prophezeiung des Zauberers sich nicht erfülle. Er erklärte ihnen, wie er die Stimme des Zauberers habe rufen hören, dass eine Katze sie zerkratzen werde. Und im selben Augenblick spürte er, wie seine Beine hart und schwer wurden. Sie waren aus Marmor. Dann fragten sie nach dem Hund. Er erklärte es ihnen und auch der Oberkörper wurde aus kaltem Marmor. Ihre Neugierde war noch nicht befriedigt und sie wollten von dem Wolf wissen. Bellascorza erklärte es ihnen. Da wurde auch sein Kopf zu Marmor. Sie begriffen nun, wie verhängnisvoll ihre Neugierde und ihre Sehnsucht für den treuen Freund geworden war und hatten Gewissensbisse. Die Marmorfigur wurde hinunter in den vergoldeten Saal getragen, aber das gute Herz schlug nicht mehr.
Später kam ein kleines Töchterchen zu den zwei Eheleuten, aber sie waren nie ganz glücklich. Es fehlte ihnen die Zuneigung des Freundes, und sie überlegten sich auf alle Weise, wie sie ihn wieder lebendig machen könnten. Eine Hexe sagte ihnen endlich, es wäre möglich, den Marmor wieder zum Leben zu wecken. aber nur, indem sie ihre Tochter opferten, die entzweigeschnitten werden müsse, um mit ihrem Blut die Statue zu befeuchten. Sehr schwer wurde Belpomo und Corinna dieses Opfer, Aber da sie Bellascorza ihr Leben verdankten, beschlossen sie, es zu bringen. Das arme Kind wurde getötet und mit dem Blut, das aus seinen Adern floss, wurde die Statue verwandelt. Sie verlor ihre Kälte, wurde warm, dann weich und rosig und Bellascorza war wieder unter den Lebenden. Aber das Wunderbarste war, dass die zwei Hälften des Kindes sich wieder vereinigten und zum schönen Mädchen von zwanzig Jahren zusammenwuchsen. Das Mädchen, das mit ihrem Leben das seine erkauft hatte, legte die Arme um Bellascorza und erklärte ihn heiraten zu wollen, zur grossen Freude der ganzen Familie.
Quelle: L. Clerici, Helene Christaller (Übers.), Märchen vom Lago Maggiore.
Nach mündlicher Überlieferung gesammelt von Luigi Clerici, Basel o. J.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch; typografisch leicht angepasst.