Die Verwandten eines Jünglings wünschten, dass dieser eine Frau nehme. Aber in seinem Ort konnte er keine finden und er gedachte in eine andere Gegend fortzugehen eine zu suchen. Auf der Wanderschaft traf er, mitten im Walde, einen Einsiedler, der in tiefem Nachdenken vor seiner Hütte stand. Als er ihn kommen sah, fragte er: „Wo gehst du hin, Jüngling? Wie hast du den Weg hierher finden können, wo ich niemals jemand habe vorübergehen sehen?"
Er antwortete: „Ich gehe über Berge und Täler, um eine Frau zu suchen und ich finde keine, die mir gefällt."
Der Einsiedler blieb einen Augenblick nachdenklich, dann sagte er: „Siehst du da unten in dem Grund des Tales jenen Fusspfad, der bis zu dem Gipfel des Berges hinaufsteigt?"
»Ja, ich sehe ihn, frommer Vater."
„Geh dort hinunter, nimm den Pfad und steige bis zum Gipfel des Berges. Dort wirst du einen kleinen See finden. Zu ihm kommen alle hundert Jahre und einen Tag drei schöne Jungfrauen aus dem Land der Glückseligen, um sich zu baden und dies wird in drei Tagen geschehen, wenn es Nacht zu werden beginnt. Verbirg dich hinter einem Gebüsch und wenn sie angekommen sind, sieh sie gut an und entschliesse dich zu der, welche dir am besten gefällt. Sie werden sich ausziehen, um zu baden. Während sie im Wasser sind, nähere dich dem Ort, wo die Kleider der Jungfrau liegen, die du zur Frau wünschest. Stecke deine linke Hand in die Tasche ihres Rockes. Du wirst ein winziges Büchlein mit wenig Blättern dort finden. Nimm es und stecke es in deine Hosentasche. Du wirst sehen, dass das schöne Mädchen dir folgen wird, wie wenn sie dich schon lange gekannt hätte. Und so werdet ihr zusammen deine Heimat erreichen, wo ihr heiraten könnt."
Der Jüngling wollte sich bedanken und die Hand des heiligen Mannes küssen, aber er wehrte ab, zeigte auf den Weg und zog sich sofort in seine Hütte zurück.
Der Jüngling stieg ins Tal hinunter und erklomm den Berg. Er fand den kleinen See und blieb da, um den Abend zu erwarten, an dem die drei Mädchen kommen sollten. Aber er war so müde vom langen Weg und der Hitze, dass er einschlief. Er hatte goldene Träume von schönen Frauen und herrlichen Nymphen. Aber das waren Träume und beim Erwachen war alles verschwunden. Auch die drei schönen Badenden waren nicht gekommen und nur der nasse Sand um ihn her liess vermuten, dass sie vielleicht schon da gewesen seien. Zwei Tage noch würden sie kommen, um zu baden, dann würden sie erst in hundert Jahren und einem Tage wieder zurückkehren. Er beschloss deshalb wach zu bleiben und sie noch am selben Abend zu erwarten.
Und die drei Jungfrauen kamen und waren so schön, dass sie wie drei Feen erschienen und er wusste nicht, welche wählen. Er entschloss sich schliesslich zu der Blondesten, mit Augen so blau wie der Himmel und in seinem Versteck holte er aus ihrem Rock das Büchlein. Die schöne Blonde ging aus dem Wasser und in Eile und Zorn kleidete sie sich an. Sie gingen zusammen in sein Land und da verheirateten sie sich zur grossen Freude von allen.
Der junge Ehemann war ein leidenschaftlicher Jäger und ging eines Tages aus zu jagen. Während seiner Abwesenheit war die junge Frau traurig und verzagt und die Schwiegermutter versuchte alles, sie aufzuheitern. Aber es gelang ihr nicht. Da fragte sie sie, warum sie so trauere.
„Ach", antwortete die junge Frau, „Euer Sohn bewahrt ein Büchlein von mir unter seinen Papieren. Wenn ich dieses Büchlein haben könnte nur für einige Minuten, wäre ich wieder froh.“
Die alte Königin, um sie nur zu befriedigen, machte sich mit grosser Ausdauer daran, überall zu suchen, bis es ihr gelang, das Büchlein zu finden. Ganz zufrieden brachte sie es der Schwiegertochter. Aber kaum hatte die es in den Händen, da verschwand sie zum grossen Entsetzen der alten guten Mutter.
Als der Sohn nach Hause kam, war er geradezu entsetzt, sein blondes Frauchen nicht mehr zu finden und er ging sofort weg sie zu suchen.
Und er reiste und reiste. Da fand er zwei Diebe, die sich stritten.
sie hatten einen Mantel und ein Paar Schuhe gestohlen und konnten sich nicht einigen bei der Verteilung der Beute. Der Mantel hatte die Kraft, wenn man ihn anzog, unsichtbar zu machen und wer die Schuhe an den Füssen hatte, konnte laufen so schnell wie der Wind. Die Diebe wollten ihn zum Richter zwischen sich machen und erklärten ihm die Eigenschaften und den Wert der gestohlenen Sachen.
„Nun wohl", sagte der Prinz, „jedoch um besser urteilen zu können, muss ich die Eigenschaften prüfen, die eure Sachen besitzen sollen."
Sie gaben ihm den Mantel und die Schuhe. Er bekleidete sich damit und fragte: „Seht ihr mich?"
„Nein", antworteten sie.
„Nun wohl, ihr werdet mich auch niemals wieder sehen." Und damit entfloh er mit Windeseile und liess die geprellten Diebe zurück mit dummen Gesichtern.
Und er lief und lief. Da fand er das Wasser und weil das Wasser damals noch sprechen konnte, fragte er es: „Wasser, du liebes Wasser, sag du mir, wo man das Land der Glückseligkeit findet?"
„Ich habe niemals davon sprechen hören", murmelte und gluckste das Wasser und rann weiter.
Er lief und lief. Da fand er den Wind. „Wind, lieber Wind, kannst du mir sagen, wo man das Land der Glückseligkeit findet?"
„Ja, ich weiss es", sagte der Wind, „ich fliege gerade hin, um die Wäsche der Blondesten der drei Schönen zu trocknen. Sie hat grosse Wäsche gehabt und braucht mich."
Und pfeifend flog er davon. Aber unser Königssohn hatte die Schuhe an, die so schnell laufen wie der Wind. So konnte er sich hinter ihm halten und sie kamen zusammen im Lande der Glückseligkeit an.
Da fand er seine Frau, die froh war, ihn wiederzusehen. Und sie sagte ihm, er dürfe immer bei ihr bleiben, denn im Lande der Glückseligkeit sterbe man niemals. Aber er meinte, er könne sich nur kurze Zeit aufhalten, er habe daheim seine alten Eltern und sein Reich.
Nach einiger Zeit wollte er wirklich zurückkehren in sein Vaterland und sagte seiner Frau auf Wiedersehen. Aber daheim fand er niemand mehr von den Seinen; alle waren gestorben. So lange Zeit war vergangen, dass er sich im Lande der Glückseligkeit aufgehalten hatte, ohne es gewahr zu werden.
Da kehrte er wieder zurück, um ewig bei seiner guten blonden Frau zu bleiben.
Quelle: L. Clerici, Helene Christaller (Übers.), Märchen vom Lago Maggiore.
Nach mündlicher Überlieferung gesammelt von Luigi Clerici, Basel o. J.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch; typografisch leicht angepasst.