Ein König hatte eine Tochter zu verheiraten und wollte sie demjenigen Jüngling geben, der seinen Hofnarren in Verlegenheit bringen könne.
Von allen Teilen der Welt kamen Prinzen und Könige. Rätsel und Fragen, hunderte und hunderte, brachten sie mit, um den Narren zu verwirren. Der Hofnarr erklärte aber alles. Könige und Prinzen mussten fortgehen, ohne die Königstochter.
In die entferntesten Dörfer, auf die höchsten Berge schickte der König Herolde nach den vier Winden, die ausriefen, dass er die Königstochter dem geben wolle, der den Hofnarren zum besten halten werde. Da machte sich ein Bergbewohner mit seiner Flinte, einem Hündchen und einem Kuchen, den seine Stiefmutter ihm mitgegeben hatte, auf die Reise. Auch seine Bücher brachte er mit, um den Hofnarren zu verwirren.
Er lief und lief, der Hund bellte, weil er Hunger hatte und der Mann gab ihm ein Stück von dem Kuchen, das er verschlang. Aber da fiel das Hündchen tot hin, denn der Kuchen war von der Stiefmutter vergiftet worden. Sie konnte ihren Stiefsohn nicht leiden und wollte ihn am liebsten tot sehen. Auch der Jüngling hatte Hunger, aber von dem Kuchen wollte er nichts essen, weil er davon gestorben wäre. Weil er nicht wusste, was er nun machen sollte, schaute er sich verzweifelt um.
Auf einmal sah er in der Entfernung einen Hasen, welcher langsam lief, weil er so fett war. Er tötete ihn mit einem Schuss. Nun wollte er ihn kochen, aber er war inmitten einer grossen Wiese und Holz gab es da nicht. Halb verhungert wie er war, konnte er nicht weitergehen. Er zündete ein Feuer mit seinen Büchern an und an dieser Flamme röstete er den Hasen. Dieser war trächtig mit drei kleinen Häschen und diese nur ass er. Nun war er ganz gestärkt und setzte den Weg fort, der zur Königstochter führte.
Er kam an, als es schon Nacht wurde. Grosse, scharfe Wachthunde wollten ihn nicht vorbeilassen, aber er gab ihnen den Rest des Kuchens. Sie starben, und er konnte eintreten. Der König sass an der Tafel und mit ihm die Königstochter, der Hofnarr und alle die Grossen des Reiches.
„Was willst du und wer bist du?" fragte der König, und der Gebirgsbauer antwortete: „Ich bin Geppo und bin gekommen, deinen Hofnarren in Verlegenheit zu bringen und deine Tochter zu heiraten."
Alle fingen an zu lachen, als sie diesen Tölpel so sprechen hörten, und der Hofnarr sah ihn verächtlich an. Geppo ermannte sich und sprach:
„Hunger hatt' ich und nichts zu essen,
drum ging ich auf die Jagd unterdessen.
Ich zielte auf was ich sah,
tötete, was nicht da.
Ich habe das Fleisch gegessen, das nie geboren war
und es mit Worten gekocht, bis es ganz weich und gar.
Kann dein Hofnarr mir dieses Lied deuten?"
Alle wendeten sich zum Narren, der ernst geworden war, dann nachdenklich, dann bleich, zuletzt erdfahl und nichts sagte. Der König verschlang ihn mit den Blicken, denn es gefiel ihm schlecht, seine Tochter einem Bauern zu geben. Aber der Narr blieb stumm. Der König verlor die Geduld und sagte entschlossen zu Geppo: „Meine Tochter ist dein, wenn du mir das Rätsel lösen kannst."
Der Bauer erklärte: „Ich sah einen Hasen und gab ihm einen Flintenschuss. Der Hase sollte bald Junge bekommen, die ich tötete, ohne es zu wissen. Zum Braten hatte ich kein Holz und benutzte dazu meine Bücher, die voll von Wörtern waren, und aus dem Hasen heraus ass ich die Jungen, die noch nicht geboren waren."
Der König lachte und lachte, die Grossen des Hofs und die Königstochter, sie lachten. Der arme Hofnarr war sehr beschämt. Aber was den König am meisten lachen machte, war, dass er sein Versprechen hielt und seine Tochter dem klugen Geppo gab, der dann später selbst König wurde.
Quelle: L. Clerici, Helene Christaller (Übers.), Märchen vom Lago Maggiore.
Nach mündlicher Überlieferung gesammelt von Luigi Clerici, Basel o. J.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch; typografisch leicht angepasst.