Es war einmal ein armer Junge, der hütete jeden Tag die Kühe, Schafe und Ziegen aus dem Dorf. Er führte sie an die grünen Hänge entlang der Küste, vom Morgen bis zum Abend. Einmal im Sommer brannte die Sonne unbarmherzig vom Himmel. Es war so heiss, dass die Luft flirrte. Da sah der Junge mitten im trockenen Gras drei junge Frauen schlafen. Sie waren so zart und schön, wie er noch nie welche gesehen hatte, und sie glichen sich aufs Haar. «Wo sie wohl herkommen?», dachte er. «Im Dorf habe ich sie noch nie gesehen. Sie werden sich ihre zarte weisse Haut verbrennen in der Sonne.» Er sah sich um und entdeckte nicht weit von den drei Frauen eine Linde. Schnell ging er hin, riss drei Zweige ab und steckte sie vor den drei Frauen in die Erde, so dass ihre Gesichter vor der Sonne geschützt waren. Dann setzte er sich nicht weit davon hin und beschützte ihren Schlaf. Die drei jungen Frauen waren aber Feen, und obwohl es so aussah, als würden sie tief schlafen, hatten sie doch genau gesehen, dass der Junge ihnen die Lindenäste gebracht hatte. Sie erhoben sich langsam aus dem Gras, blinzelten in die Sonne, und ihre Haare funkelten wie Gold. «Du, Junge, komm zu uns, wir wollen uns bei dir bedanken!»
Doch der Junge konnte die drei goldglänzenden Frauen nur bestaunen und keinen Schritt mehr tun. So schön waren sie, dass er es mit der Angst zu tun bekam und davon-springen wollte. Doch die Feen waren schneller. «Warte doch! Du hast einen Wunsch frei», sagten sie.
Der Junge war viel zu schüchtern, um einen Wunsch laut auszusprechen. So zogen die drei Feen einen Zauberbeutel mit Geld hervor und wollten ihm den schenken. Aber der Junge hatte noch nie Geld in der Hand gehabt, und so schüttelte er den Kopf. Da sprachen die Feen: «Wenn du heute Abend die Tiere ins Dorf zurücktreibst, wirst du hinter dir das zarte Läuten von Glöckchen hören. Achte nicht darauf, und drehe dich nicht um, bis du zu Hause bist!» Nach diesen Worten waren sie verschwunden.
Als die Sonne langsam im Meer versank, trieb der Junge seine kleine Herde nach Hause. Aber je näher er dem Dorf kam, umso mehr Glöckchen hörte er hinter sich. «Ich darf mich nicht umdrehen, ich darf mich nicht umdrehen!», sagte er sich immerzu. Doch etwa auf halbem Weg war die Neugierde so gross, dass er den Kopf drehte und zurückschaute. Da sah er Kühe, Schafe und Ziegen aus den Wellen im Meer aufsteigen und hinter seiner Herde herlaufen. Doch kaum hatte er sie gesehen, verschwanden die Wellen, und es kamen keine Tiere mehr aus dem Wasser.
Da wusste er, dass die drei Frauen Feen gewesen waren. Hätte er nicht zurückgeschaut, wäre seine Herde noch viel grösser geworden. Aber auch so hatten die Feen ihn reich beschenkt. So viele Tiere besass er nun, dass er auch den Armen im Dorf noch einige abgeben konnte. Die Feen aber hat er nicht mehr wiedergesehen.
Aus: Kindermärchen für Gross und Klein © Mutabor Verlag
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch