Im Jauntal lebten vor langer Zeit drei riesenhafte Geschwister, die sich durch ungewöhnliche Körperkraft auszeichneten. Sie hiessen Peter, Josi und Marie Mooser, wurden aber nur «die Langen» genannt. Der Stärkste aus diesem Kleeblatt, Peter, war seiner erstaunlichen Leistungen wegen über das Jauntal hinaus bekannt.
Die drei Geschwister lebten im Weiler Im Fang, in einem wettergebräunten, geräumigen Bauernhaus einträchtig zusammen. Dieses Haus stand auf einer kleinen Anhöhe, «Ledi» genannt.
Gegen Westen ragt wie eine riesige Schutzwand die Hochmatt zum Himmel. Auf diesem Berge wirtschafteten die drei Geschwister viele Jahre hindurch als tüchtige Sennen. Diese Alp war auch der Schauplatz so mancher Heldentaten des «starken Peter». Aus dem Legendenkranz, der sich um diese Sennengestalt windet, sei hier einiges kurz nacherzählt.
a) Der Kampf mit dem rasenden Stier
An die Hochmatt grenzen die Bergweiden des «kleinen Mont». Auf einer dieser Weiden, dem «Sonnenhalb», hirteten damals drei Sennen, die dem langen Peter nicht gut gesinnt waren: einmal deswegen, weil er sie an Körperkraft weit übertraf, ferner, weil sie ihn noch nie überwinden konnten. Es ging schon dem Herbst zu, als sie eines schönen Tages Peter von der Hochmatt herabkommen sahen. Auf den Schultern und mit dem Kopfe trug er eine «Fert» (Bürde) Enzianwurzeln. Von neuem erwachte im Herzen der drei Sennen der Hass. Sie beschlossen, dem Peter heute einen Streich zu spielen. Da keiner von ihnen persönlich mit dem Riesen es aufzunehmen wagte, entschlossen sie sich, den bösen Stier auf ihn loszulassen.
Als nun Peter der Sennhütte sich näherte, sah er zu seiner Überraschung ein schnaubendes Ungetüm auf ihn zurasen. Gleichzeitig hörte er jemand rufen: «So! wehr dich jetzt, du Kraftmensch!» Peter nahm schnell gefasst den Kampf mit dem wütenden Stier auf. Er stieg auf den nächsten Steinhaufen, griff nach einem mächtigen Stein und schleuderte ihn mit aller Wucht gegen den Kopf des Tieres. Plumps! Der Stier fiel zu Boden und streckte alle Viere von sich. Das war so überraschend geschehen, dass Peter darüber nicht einmal Zeit gefunden hatte, seine Bürde abzulegen. Jetzt aber stellte er diese ins Gras und überzeugte sich, ob der Stier wirklich tot sei. Nachher schritt er gemütlich der Sennhütte zu, fand aber dieselbe zu seinem Erstaunen leer. Die Türen aber standen speerangelweit offen. Die tapferen Küher hatten sich vor dem Zorn des Siegers auf die Schattenseite hinüber in Sicherheit gebracht.
Indessen setzte sich Peter an den gedeckten Tisch und sättigte sich mit Ziegenmilch, Brot und Käse. Hierauf schritt er zur offenen Türe, hielt die Hände trichterförmig an den Mund und schrie den Geflüchteten auf der Schattenseite zu: «So, jetzt könnt ihr kommen und euren Stier schinden», sprachs, packte seine Bürde und schritt, als ob nichts vorgefallen wäre, dem Fang zu.
b) Ein unausgefochtener Zweikampf
Bis ins Simmental hinüber drang der Ruf des riesenstarken Mannes. Dazumal lebte auch dort ein Mann, der Peter an Grösse und Stärke nicht viel nachstand. Der Simmentaler Riese hatte sich vorgenommen, den Jauner zu besiegen. Um diese Zeit war Peter auf dem sogenannten «Breggischlund» tätig. Er hatte den genannten Simmentaler schon früher kennengelernt. Als dieser nun eines Morgens auf der Schwelle erschien, redete ihn Peter freundlich an: «Grüss dich Gott, starker Simmentaler! Du hast gewiss Durst.» Mit diesen Worten reichte er ihm mit der rechten Hand ein grosses «Gebsi» voll Käsemilch hin. Der Simmentaler griff ebenfalls mit einer Hand nach der Schüssel, musste aber bald auch mit der andern Hand zugreifen, da ihm sonst die Schüssel entfallen wäre.
Peter bewirtete nun seinen Gast aufs beste mit Milch, süsser Nidel, Greyerzer Käse und Brot. Er wusste genau, weshalb ihn der andere aufgesucht hatte, sagte jedoch kein Wort davon. Als sich der Simmentaler gesättigt hatte, wandte er sich zum Gehen. Peter sprach zu ihm: «Ich danke dir für deinen Besuch. Zum Abschied wollen wir uns als gute Freunde noch die Hand drücken.» Und Peter drückte dem Simmentaler die Hand so kräftig, dass diesem das Blut aus den Fingernägeln herausspritzte. Der Simmentaler hatte seinen letzten Besuch beim starken Peter gemacht und liess sich nie mehr blicken.
c) Peter räumt eine Gaststube aus
Eines Tages kam Peter an der Wirtschaft in der Tsintre vorbei. Da vernahm er aus der Gaststube einen Heidenlärm. Aus dem Stimmengewirr heraus hörte er die Stimme seines Bruders Josi. Schnell entschlossen kehrte Peter um und wollte seinem Bruder zu Hilfe kommen. Aber er fand die Türe zur Gaststube versperrt. Die Raufbolde hatten sein Kommen bemerkt und schnell die Türe zugeriegelt.
In der Gaststube stand aber ein grosser Sandsteinofen der von der Küche aus eingeheizt wurde. Peter kroch nun in den Ofen, stülpte die Ofenplatte ab und kam so in der Gaststube zum Vorschein. Kaum hatten die Raufenden sein Erscheinen bemerkt, sprangen die Feigsten zum Fenster hinaus. Peter griff nun nach dem nächsten langen Stuhl, ging damit von einer Ecke zur andern und säuberte so innerhalb einer Minute den ganzen Saal.
Hochbetagt starb Peter eines sanften Todes. Sein Name lebt aber weiter in der Überlieferung seiner Volksgenossen.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.