Wer von der Stadt Freiburg über die alte Kantonalstrasse nach dem Oberland wandert, erblickt hinter Perfetschied hoch droben auf stolzem Hügel ein weisses Kirchlein: Die Pfarrkirche von St. Silvester. Drunten aber auf sattgrünem Wiesengrund gruppiert sich um den Hügel das Dörflein Zurschür. Die zwei Bergwiesen Schwyberg und Käsenberg im Hintergrund schliessen das reizende Landschaftsgemälde ab. Wie kam es, dass das Gotteshaus mit der Wohnung des Seelsorgers so hoch hinaufgebaut wurde, ganz herausgerissen aus dem Dorfe? Darüber geht folgende Volkssage:
Im dämmerigen Buchenwalde, der bis hinunter das linke Ufer des Ärgerenbaches schmückt, stand vor urdenklichen Zeiten ein grobgeschnitztes Bild des heiligen Papstes Silvester. Das gläubige Landvolk der Umgebung verehrt diesen Heiligen als hilfsbereiten Patron des Viehes bis auf den heutigen Tag. Als die Pfarrkirche in Giffers (die bis 1859 auf St. Silvester pfarrgenössig war) neu errichtet war, wollte man das Bild des heiligen Silvester von seinem einsamen Platz entfernen und ihm in der Gifferser Kirche einen würdigeren Ehrenplatz geben. Die verwitterte Holzstatue wurde gereinigt, neu bemalt und gefasst und dann in der Kirche auf einem Nebenaltar aufgestellt. Aber damit schien der Heilige nicht einverstanden. Denn als am folgenden Morgen der Pfarrherr in der Frühe als erster das Gotteshaus betrat, machte er die unerfreuliche Entdeckung, dass der Standort des Heiligen leer war. Das Bild war verschwunden und nirgends eine Spur von einem Diebstahl wahrzunehmen. Alles Suchen und Forschen blieb erfolglos. Bald verbreitete sich die Kunde vom Verschwinden der Heiligenstatue in der ganzen Umgebung. Da, im Laufe des Tages meldeten Hirten, der Heilige stehe wieder an seinem früheren Platze im schattigen Buchenwald droben. Niemand konnte sagen, wie das gekommen war. Man holte das Heiligenbild und stellte es wieder in die Kirche von Giffers in seine Nische. Abends wurde die Kirche gut versperrt; den Schlüssel verwahrte der Pfarrer in seiner Wohnung. Es half nichts. Am andern Morgen war der Heilige wieder verschwunden. So wiederholte sich der geheimnisvolle Vorfall drei Mal, und jedes Mal fand sich die Statue an ihrem früheren Standort unter den verschwiegenen Buchen und Tannen des Waldes.
Jetzt erkannte man, dass es eine höhere Fügung
des Himmels war, die den Heiligen an seiner altgewohnten Stätte festhalten wollte; man wagte es nicht mehr, diesem deutlichen Fingerzeig zu widerstehen. Der Platz um das Heiligenbild wurde abgeholzt, und darauf erstand nach einigen Wochen ein schmuckes Kapellchen zu Ehren des heiligen Silvester. Das Gnadenbild erhielt auf dem Hochaltar seinen Ehrenplatz, den es nicht mehr verliess. So entstand das Wallfahrtskirchlein von St. Silvester. Am letzten Tag des Jahres, am «Santivaschtelstag», pilgern die Bauersleute der Umgegend in aller Herrgottsfrühe, ob es «bisnet» oder regnet oder schneit, hinauf ins stille Kirchlein zum 5-Uhr-Hochamt und opfern dem Heiligen wächserne Kühe, Pferde, Schweinchen, Hühner und Enten, mit der festen Zuversicht, dass der grosse Heilige ihr Haus und Stall vor jeglichem Wehtum und Ungutem beschützen und bewahren werde. Ich bin als Student selber mal dabeigewesen bei dieser Wallfahrt. Die Sennen vom «Spittelvorsatz» aber opfern einen saftigen geräucherten Schinken und einen zentnerschweren Käs.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.