Das ewige Licht

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

In früheren Jahren hatte der Sigrist von Bächlisbrünnen (St. Antoni) die Pflicht, allabendlich beim Betläuten vor dem Hauptaltar das Licht anzuzünden. Eine silberne Ampel hängt noch heute vor dem Altare der Mutter Gottes vom guten Rat. Aber das Ölglas steht seit dem Kriege leer, da kein Öl mehr zu haben ist. Wenn der Sigrist geschäftehalber diese Arbeit nicht besorgen konnte, tat es seine Frau für ihn. Einst kehrte diese an einem Samstag etwas spät beim vom Stadtmärit. Sie hatte auf den Sonntag noch viel Arbeit zu verrichten und schickte deshalb ihre Magd zum Gebetläuten. Die tat, wie ihr geheissen war, zog den Glockenstrang und läutete zum Engel des Herrn. Aber in der Eile oder Zerstreutheit vergass sie das übliche Licht in der Lampe anzuzünden. Sie verliess die Kapelle und schloss die Türe ab, worauf sie den Schlüssel der Sigristenfrau überreichte und fortging. Als diese am anderen Morgen zum Betläuten ging, klopfte es dreimal heftig an das Kapellenfenster auf der rechten Seite, so heftig, dass die Scheiben klirrten, ohne aber zu zerspringen. Erschrocken blickte die Sigristenfrau hin, ob jemand sich einen bösen Streich erlaubt habe. Aber keine Menschenseele war zu erblicken. In Angst und Schrecken sprang die Frau hinaus und meldete ganz käseweiss vom unheimlichen Erlebnis das ihr widerfahren war. «Ihr habt gewiss vergessen, gestern das ewige Licht anzuzünden», sagte die greise Sigristenmutter. Sogleich eilte der Sigrist hinaus, um sich zu vergewissern. Um keine Million wäre seine Gattin nochmals in die Kapelle hingegangen. Und wirklich, als der Sigrist ins Gotteshaus trat, bemerkte er gleich die erloschene Lampe vor dem Altare. Hurtig suchte er das Versäumnis wiedergutzumachen. Er zog die silberne Lampe am Ring herunter, schlug Licht und entzündete den Docht im Ölglas. Als er die Lampe herunterzog, umwehte ihn trotz der geschlossenen Fenster ein geisterhafter Luftzug. Er hörte ein Wehen, wie wenn Geister um die Lampe flatterten. Im Augenblick, da er das Lampenseil anfasste, war es ihm, als ob er seine Hand in einen glühenden Backofen hineinstreckte. Solche Hitze fühlte er an der Rechten. Und merkwürdig, sobald er das Licht angezündet hatte und die Kapelle klopfenden Herzens verliess, verschwand die Feuerhitze an der Hand so schnell wie sie gekommen war. Überflüssig zu sagen, dass das abendliche Lichtlein nicht mehr vergessen wurde.

 

Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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