Gutmannshaus am Schwarzsee

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Etwa anderthalb Stunden hinter dem Eingangstor zum Schwarzseetal, dem stolzen Marktflecken Plaffeien, steht an der neuen Schwefelbergstrasse ein einsamer Bergbauernhof. Der Volksmund hat ihn «Gutmannshaus» getauft. So steht er auch auf der Touristenkarte verzeichnet. Dieser Ortsname reicht weit ins Mittelalter zurück. In den Urkunden des bernischen Staatsarchives findet er sich schon 1319 erwähnt. Wie kam der Hof zu diesem schönen Namen? Darüber gibt uns die unermüdliche Poesie des Volkstumes beredte Auskunft.

In längst verklungener Urgrossvaterzeit, in der die Menschen nervöses Hasten und Jagen nach Geld und Reichtum noch nicht so gut kannten wie heute, da lebte oberhalb des Zollhauses, wo sich kalte und warme Sense geschwisterlich vereinen, ein menschenfreundlicher Hirte. Weit und breit war er gut bekannt und beliebt wegen seiner uneigennützigen Gastfreundschaft. Doch niemand wusste über seine Herkunft etwas Sicheres zu sagen; einige hielten ihn für einen Flüchtling, andere für einen verkleideten Grafensohn oder einen weltmüden Einsiedler. Mochten nun diese Mutmassungen zutreffen oder nicht, der Senne erwähnte niemals ein Wort über seine Herkunft. Aber was schadete das? Der hungrige Wanderer fragt nicht darnach, sondern nach einem Trunk frischen Wassers oder süsser Milch, oder nach einem guten Stück Brot. Es gab keinen Notleidenden, keinen Bettler oder Pilger, der nicht beim Bewohner vom Gutmannshaus Zehrung und Obdach gefunden hätte. Wenn die Älpler von weitherum, vom Saanen- oder Simmental, oder jenseits des Euschelspasses, über die steilen Berghänge herab kamen, um in der Umgebung oder in der Stadt Freiburg ihre Besorgungen zu machen, so fanden sie beim einsamen Sennen immer eine gute Aufnahme. Sie brauchten auch nicht weiter zu verraten das Woher und Wohin ihres Ganges. Denn neugierig war der Alte nicht. Ohne viel Worte zu verlieren, lud er seine Besucher ein, in seiner einfachen Stube zu rasten und zu ruhen, oder ihre vom Regen durchnässten Kleider am lodernden Herdfeuer zu trocken und die erfrorenen Glieder zu erwärmen. Er bot den Leuten willig und zuvorkommend dar, was er besass: Milch, Käs, Zwieback. Konnten die Besucher vor Nacht nicht heimkommen, bereitete er ihnen auf Heu und Stroh ein Nachtlager, gab ihnen Decken und Tücher, dass sie warm liegen konnten; kurz, er sorgte wie ein Vater für seine Gäste. Wenn jedoch am andern Morgen der also vortrefflich bewirtete Gast nach seiner Schuldigkeit fragte, lehnte der freundliche Gastgeber jeden klingenden Dank ab. Mit einem «Vergelt’s Gott» gab er sich zufrieden, und blieb dies aus, dann machte er sich auch nichts daraus.

Nicht verwunderlich, wenn sich beim freigebigen Sennen oft eine bunte Gesellschaft zusammen fand: Hirten, Holzacker, Köhler, Jäger, Harzsammler, Beerenpflücker, Vagabunden, Korbervolk, fahrende Sänger, Reisende, Bauern, Viehhändler, mitunter auch gehetzte Flüchtlinge, die vor dem Verfolger Schutz suchten. Aber merkwürdig! Diese buntgewürfelte Gesellschaft vertrug sich beim gastlichen Wirt immer recht gut. Er verhinderte Zank und Streit. Seine Menschenliebe war das Band, das alle zusammenhielt und brüderliche Verträglichkeit schuf. Als sich endlich auch Bruder Tod beim Alten anmeldete, ging ein lautes Klagen und Jammern durch das Land; denn das Haus des guten Mannes lag nun leer und verlassen da, der gastliche Ort war seines wohltätigen Bewohners für immer beraubt. Aber sein Andenken blieb aufrecht bis heute.

 

Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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