Remüs hat die schönste Kirche im Engadin; sie ist dem »heiligen Florinus« geweiht. Das frühere Gotteshaus, »St. Peter«, war laut Urkunde von 1070 damals dem Domkapitel in Chur gehörig und wegen des Grabes des heiligen Florinus berühmt, welcher von 820-833 Priester zu Remüs gewesen. Dorthin geschahen früher viele Wallfahrten. Sein Grab ist in lebendigem Felsen ausgehauen.
Von Florinus geht die Legende: »Sein Vater, ein Britte, kam mit seiner (Florin\'s) Mutter, einer Jüdin, von einer Wallfahrt nach Rom zurück, und liess zu Matsch im Vintsgau sich nieder, dessen liebliche Lage ihm besonders wohl gefiel. Lange Zeit kinderlos, erhielten die Eltern endlich, um ihrer Frömmigkeit willen, einen Sohn, welchen sie Florin nannten, den sie dem Dienste des Herrn weihten und zur Erziehung dem zu Remüs wohnenden Priester Alexander übergaben. Dort gedieh der junge Florin an Herz und Geist.«
Von seiner Wundertätigkeit wird Vieles erzählt; so ward er einst von seinem Lehrer beauftragt, zu dessen Stärkung einen Krug Wein aus dem benachbarten Schlosse zu holen. Florin ging hin, erhielt das Verlangte, und war auf dem Rückwege zum Priester Alexander begriffen. Unterwegs traff er eine arme Frau an, die ihn um eine Gabe für ihren kranken Mann daheim bat; Florin schüttete ihr den Wein in ein Gefäss, das sie bei sich hatte und kehrte in\'s Schloss zurück, um den Krug wieder füllen zu lassen. Da der Vorgang vom Schlosse aus bemerkt worden war, jagten die Knechte unter Schimpfen und Schlägen ihn hinweg. Betrübt kehrte er um, seinem Lehrer das Geschehene zu berichten. Unterwegs füllte er an einer Quelle den Krug mit Wasser und kehrte zu seinem Lehrer zurück. Aber bereits war die Anklage ihm zuvorgeeilt, nicht minder die Kunde, dass er zuletzt den Krug mit Wasser angefüllt. Hier ereignete sich nun, durch den Willen Gottes, das Wunder, dass das Wasser in besten Wein sich umgewandelt hatte.
Die Angabe von der Bekehrung Rudolfs von Vatz, zubenannt vom »rothen Brunnen«, ist eine Hypothese eines unserer vaterländischen Schriftstellers. Dagegen glaubt Wolfg. v. Juvalt, in diesem Rudolf v. Rothenbrunnen einen Rudolf v. Juvalt zu erkennen.
Nach dem Tode seines Lehrers wurde Florinus Priester und stand der Kirche zu Remüs bis zu seiner letzten Stunde, die er auf die Minute voraussagte, vor. Nicht minder sah er im Geiste die Streitigkeiten voraus, welche die »Matscher und Remüser« um seine sterblichen Überreste erhe¬ben würden, und mahnte beide Teile dringend davon ab.
Seine irdischen Überreste wurden einem, in lebendigen Fels gehauenen Grabe übergeben; aber Reliquien von ihm in ein Kästchen gelegt oder in Reliquarien gefasst, und auch diese selbst verrichteten Wunder. Diese Reliquien wurden in Prozessionen zwischen Remüs und Matsch hin- und hergetragen, von Bewaffneten beschützt. - So lange Jahre!
Im Jahre 1530 nun, als anlässlich der Einführung der Reformation auch in Remüs »Gemeinde gehalten« wurde, ob man die neue Lehre annehmen wolle oder nicht, sollten, wie vor Altem durch das Orakel, nun aus der Lage und Beschaffenheit der Reliquie des heiligen Florin Bestimmungen gefasst werden. Das Kästchen wurde geöffnet, aber Alles darin lag in Schutt und Moder. - Die Gemeinde nahm die neue Lehre an, verehrte aber den Heiligen nach wie vor.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.