Es war einmal ein blutjunger Geselle, dem waren beide Eltern gestorben und sie hatten ihm nichts hinterlassen als gesunde Glieder, ein frisches Herz und unverdrossenen Mut. Aber so allein und verlassen hielt es ihn nicht länger in der Heimat und er beschloss, in die weite Welt hinaus zu wandern, dass er fremde Länder beschaue und anderer Menschen Sitten kennen lerne, und, wer weiß, dachte er, vielleicht mache ich da draußen mein Glück, denn das Glück soll auf der Straße liegen, sagt ein altes Wort. - Und so schnürte denn unser Geselle sein Bündel, nahm den Weg unter die Füße und wanderte ohne Rast und Ruh über Berg und Tal, und zweimal ging die Sonne auf und zweimal ging sie nieder, und noch immer wollte der Weg kein Ende nehmen. Dem Burschen aber deucht's, es könne nun nicht mehr weit sein bis zum Ende der Welt.
Am dritten Tage kam er in ein liebliches Tal beidseits zwischen hohen Bergen, und dunkle Tannen standen hoch die Halden hinauf. Die Bergseiten aber waren zerschrunden und zerklüftet von reißenden Wildbächen, die hatten tiefe Runsen gerissen voller Grus und Grien. Als die Sonne eben auf der Höhe der Berge stand, kam er zu einer Gand, da fühlte er sich mit eins so müde, dass er sich unter einer alten Schirmtanne ins weiche Moos streckte, um ein Weilchen zu ruhen. Ein leiser Wind bewegte die Wipfel der Tannen. Wie er so dalag und die Augen schweifen ließ, erblickte er gerade gegenüber auf einem schroffen Nossen das Gemäuer einer alten Burg. Ei, dachte er bei sich, was mag das voreinst für ein lautes, lustiges Leben gewesen sein, als da die alten Ritter ein und ausritten mit Waffengeklirr und Hörnerschall, und erst in den Hallen, wenn die Herren und Edelfrauen an festlicher Tafel saßen und einander bei Lautenschlag und Liederklang aus goldenen Bechern zutranken: - und unversehens war der gute Geselle eingeschlummert.
Aber wie ihm die Augen zugefallen waren und seine Seele versunken im tiefen Schlafe, da gingen ihm bunte Träume auf, Träume von Glück und Glanz, so hell wie die Sterne am Himmel. Und da war's ihm, als sehe er drüben ein herrliches Schloss, das glänzte wie lauteres Gold gegen die Sonne, und auf dem Söller des höchsten Turmes saß die allerschönste Jungfrau, ein goldenes Krönlein auf dem goldblonden Chruselhaar, die winkte ihn mit ihrer lilienweißen Hand zu sich herauf. Und im selben, da wisperte und flisterte es in allen Bäumen, es trippelte und tappelte in Busch und Strauch, und aufs Mal stand ein uraltes Waldmännlein vor ihm in einem kurzen, grauen Tschöplein, ein haseliges Stecklein in der Hand. Ein langer, schlohweißer Bart hing ihm bis über die Knie herab, und Augsbrauen hatte es, die waren so buschig und spissig wie Reckholdergesträuch. Aus Äuglein, die dicht beieinander lagen, schwarz wie Moosbeeren, beschaute der Wicht den Schläfer eine Weile und hustete und prustete dabei in seinen Bart, kicherte und lachte. Aber der Geselle schlief fort und erwachte nicht. Da trat das Männlein herzu und berührte mit seinem Stecken die rechte Hand des Burschen. Der erwachte alsbald, saß auf, rieb sich die Augen und strich sich das Haar aus der Stirn. Verwundert staunte er den Wicht an und wusste nicht, was er sagen sollte. Dann aber sprach er herzhaft: «Warum weckst du mich aus dem Schlafe auf? Was willst du von mir?» Da trat das Männlein vom einen Bein aufs andere, räusperte sich, hustete und kicherte, zwinkerte mit den Äuglein und sprach: «Folge mit, wohin ich gehe, ich werde dir den Weg weisen dahin, wo du alles finden wirst, was du im Traume geschaut hast, und noch mehr als das. Nur, schau niemals hinter dich was auch geschehen mag!» Sprach's, wandte sich um und tappelte hurtig ins Gehölz und hielt sein Stecklein vor sich. Und schon stand auch der Geselle auf den Beinen - er wusste nicht, wie ihm geschah - und folgte dem Zwerge auf den Fersen nach mitten durch Gestrüpp und Gestäude, wo's am dichtesten stand. Aber siehe, die Äste und Zweige bogen sich von selber zur Seite, so dass kein Dorn ihm das Kleid zerriss. So gingen sie eine lange Zeit weiter, immer tiefer und tiefer in den Wald hinein, und unversehens war es finstere Nacht geworden. Aber die Sterne über den Bergen blinkten hell durch die Tannenwipfel hernieder, und der volle Mond schien auf Blätter, Steine und Moos, dass alles schimmerte und flimmerte wie Silber. Hinter dem Jüngling aber huschte, rauschte und raschelte es, als schlüpften Vögel durchs Laub oder schnellten Häslein übers Moos. Endlich tat der Wald sich auf und das Männlein blieb auf der Lichtung stehen: sie standen unter der Fluh, darauf die Burg sich erhob, die der Geselle aus der Ferne gesehen hatte. Da sprach das Männlein: «Folge mir weiter nach, aber schau beileibe nicht hinter dich!» und dann klomm es hurtig wie ein Wiesel den Fels hinan, so dass der Jüngling ihm kaum zu folgen vermochte.
Endlich langten sie oben an. Das Tor war verschlossen. Da tat der Zwerg drei Schläge mit seinem Stecklein an das Schloss, und alle Riegel sprangen auf. Das Männlein blieb vor dem Tore stehen und sagte wieder: «Schau nicht hinter dich und du wirst dein Glück finden!» und damit war es verschwunden, wie weggeblasen. Der Jüngling aber ging auf leisen Sohlen vorwärts - denn es war ihm doch nicht ganz geheuer zu Mute - durch ein langes, dunkles Gewölbe. Am Ende des Ganges kam er zu einer schmalen Wendeltreppe. Er stieg die Treppe hinauf und kam in eine weite, gewölbte Halle, beschlossen von mächtigen Flügeltüren. Die standen offen. Er ging hindurch und kam in einen gewaltigen Saal, an dessen Wänden bunte Wappenschilder und mannigfaltige blanke Wehr und Waffen hingen. Der Jüngling blieb stehen und beschaute die prächtige Zierat, da hörte er aufs Mal einen dumpfen Ton wie fernes Donnerrollen oder das Tosen eines Wassersturzes. Ein kalter Schauter fuhr ihm den Rücken hinunter, und die Knie schlacker ten ihm vor Angst. Aber er raffte sich auf und schritt weiter, Fuß vor Fuß setzend, dem Geräusche zu.
Er kam abermals zu einer Tür. Er drückte die Klinke, die Tür sprang auf, und ein neuer Saal tat sich auf, noch größer als der vorige, und noch prächtiger zu schauen. Mitten drin aber - oh Graus - saßen lautlos, im schwachen Schein einer Ampel um einen großen runden Tisch zwölf düstere Mannen in langen, schwarzen Mänteln, breitrandige Schlampihüte mit wallenden Federbüschen tief über die Stirn herabgezogen, darunter hervor aber funkelten feurige Augen, wie glühende Kohlen dem Burschen entgegen. Auf der Tischplatte stand vor einem jeden ein weißer Totenschädel gefüllt mit einem Trank, der war rot wie Blut.
Dem Jüngling gefror das Blut in den Adern und das Mark in den Knochen vor Grauen. Jetzt erhob sich der älteste von den Zwölfen, nahm eine große goldene Kugel, die neben seinem Sitze lag, und reichte sie dem Gesellen. Dann wies er nach dem anderen Ende des Saales, das hell erleuchtet war. Da stand ein goldenes Kegelspiel. Und der Alte sprach: «Verbinde dir die Augen und tu drei blinde Würfe. Aber sieh zu, dass du dabei den König aus der Mitte der anderen allein umwirfst. Gelingt's dir nicht, so bist du dem Tode verfallen. Schon mancher, der sich hierher verstiegen, hat's versucht, doch noch keinem ist es gelungen. Dein Leib wird in Stücke zerrissen und vor die Raben geworfen, die diese Mannen umflettern, dein Blut aber trinken wir in unserem Wein.» Dem Mutigen hilft Gott, dachte der Jüngling, drückte sich die Mütze mit der Linken fest vor die Augen, ergriff mit der Rechten die Kugel und tat den ersten Wurf. Und siehe da, der König war aus dem Ris wie herausgeblasen. Da erhoben sich die finsteren Mannen mit beifälligem Gemurmel von ihren Sitzen bis auf einen und tranken dem Jüngling zu. Der eine aber, der auf seinem Stuhl sitzen blieb, war der König, der war seit vielen hundert Jahren durch einen bösen Bann verzaubert gewesen und hatte der Erlösung geharrt. Der Alte nickte dem Gesellen freundlich zu, und wies dann auf die Tür am ändern Ende des Saales, und die Mannen geleiteten ihn bis zur Schwelle, dann kehrten sie stumm an ihre Plätze zurück.
Der Jüngling öffnete keck die Türe und - dergleichen hatte er seiner Lebtage noch nie gesehen - er trat in einen Wundergarten: Ringsum, soweit sein Auge reichte, blühten in Fülle die lieblichsten Blumen und ein Duft erfüllte die Luft, so süß, dass ihm schier die Sinne schwanden, und überall standen in langen Zeilen die prächtigsten Bäume, deren Zweige und Äste hingen so voll der seltensten Früchte, dass sie bis auf den Boden sich bogen, und allenthalben im Laube schwirrten und flatterten, zwitscherten und pfiffen buntgefiederte Vögel, rote und blaue, weiße, grüne und gelbe, und manche schimmerten gar in vielen Farben zugleich. Und so fröhlich liedeten sie, dass es dem Gesellen ganz warm ward unter dem Tschopen. Unter gewaltigen Schattenbäumen glänzten Teiche und Seelein, darin sich Fische tummelten, blauschimmernd die einen, die anderen goldfarben und wieder andere rot wie Mohn. Springbrunnen sprudelten silberhell empor und plätscherten sanften Schalles. Hirsche, Rehe, Hasen und andere Tiere des Waldes ästen friedlich auf den Matten und äugten ohne Scheu zu dem Jüngling herüber.
Da auf einmal ward's stille rundum, kein Lüftlein ging, kein Blättlein regte sich, kein Tierlein rührte sich, kein Vöglein flog. Aber kaum vernehmbar kam aus der Ferne ein Getön wie von leiser Musik, und aisgemach erscholl eine zarte Weise und ein Lied, inniger und inniger und immer näher. Dem Jüngling war's, als müßte ihm das Herz zerspringen vor lauter Lust und Wonne. Da trat unter zwei blühenden Bäumen eine Jungfrau hervor in blütenweißem Gewände, darüber ein Mantel herab wallte, blau wie der Himmel, und ein goldener Stirnreif, mit Edelsteinen besetzt und Perlen, die glitzerten wie Tautropfen im Strahl der Morgensonne, umschloß ihr goldenhelles Gelock. Und der Jüngling erkannte in ihr das Bild jener Jungfrau, die er im Traume geschaut.
Mit einer Stimme so fein und rein wie der Schall eines Silberglöckleins, das die Gläubigen von dem Altar zur Andacht ruft, sprach die Jungfrau: «Du bist der erste, der hier mich heimsucht in diesem Garten, und noch keines Menschen Auge hat mich je erblickt. Lösest du den Zauber, der auf dem Haupte meines Vaters liegt, so hast du zugleich auch mich erlöst, und meine Hand wird dein sein mit seinem Segen. Aber vorerst ist noch manche Mühsal und Gefahr zu bestehen. Tief im Silberberg ist ein Ring verschlossen, den Schlüssel dazu verwahrt eine Hexe dort drüben auf dem Berge jenseits des Tales. Der Ring aber ist gleich diesem Ringe hier an meiner Hand», und die Jungfrau streifte einen goldenen Ring mit einem leuchtenden Rubin vom Finger und reichte ihn dem Jüngling. «Nimm diesen Ring», sprach sie weiter, «birg ihn an deiner Brust, und wenn du vor das Schloss kommst, wo die Hexe haust, so stehe still und halte den Ring in die Höhe. Dann wird die Hexe sich im Fenster zeigen und dir sagen, was du weiter zu tun hast. Gewinnst du den Ring im Silberberg, dann ist auch sie erlöst. Du aber wirst gebieten über den Berg und alle seine Schätze und der reichste Mann sein weit und breit.» Der Geselle war wie aus den Wolken gefallen und konnte nichts fragen und nichts sagen; er empfing den Ring und barg ihn im Busen. Aber da war die Jungfrau verschwunden, als wäre sie in der Erde versunken. Als der Jüngling, ganz stürm von allem, was er in dem Schlosse gesehen und gehört, wieder vor das Tor hinaus kam, da stand auch das Waldmännlein aufs Mal wieder da, hustete und räusperte sich in seinen Bart und kicherte und lachte. Es stand von einem Fuß auf den anderen, zwinkerte mit den Äuglein, klopfte auf die Tasche seines Tschöpleins und nahm ein seidenweißes Tüchlein hervor, das im Lichte in allen Farben des Regenbogens schillerte. Das band der Wicht an sein Stecklein und ließ es wie ein Fähnlein lustig im Winde flattern. Und ehe der Bursche sich's versah - er hätte nicht sagen können, wie's geschah - standen sie schon vor dem Schloss auf der anderen Seite des Tales. Aber da war das Männlein aufs Mal auch wieder verschwunden.
Der Jüngling griff in den Busen, holte den Ring hervor und hob ihn in die Höhe. Da erschien unter dem Fenster eine graue verhutzelte Alte, mit wirren verfilzten Haaren, in einer ganz zerschlissenen Schlutte, die war zündfeuerrot. Den einen Arm hielt sie in die Hüfte gestemmt, mit dem anderen aber schwenkte sie einen Schlüsselbund und mit heiserer Stimme schrie sie hinab:
«Schlüssel, Schlüssel kling, klang, kling,
Tief im Berge liegt der Ring.
Geh mir, Fant, vom Schloss hier fort.
Schleich dich hin zur Scheune dort.
Schlüssel, Schlüssel, kling, klang, kling,
Dorthin ich den Schlüssel bring.»
Unweit von der Burg stand ein alter Stall und eine verfallene Sennhütte, die waren leer und verlassen. Der Geselle ging dahin und wartete vor der Hütte. Mittlerweile war es stockfinstere Nacht geworden. Der Mond war untergegangen und dunkle Wolken verbargen die Sterne. Da grunzte und quiekte es aufs Mal gar grässlich hinter dem Stalle, dass der Schauder dem Jüngling alle Haare sträubte, und plötzlich rannte eine große, schwarze Sau mit glühenden Augen und gesträubten Borsten auf ihn los, den rasselnden Schlüsselbund im Rüssel. Das Grausen packte den Gesellen, und lahmte ihm alle Glieder, aber er bis die Zähne aufeinander und klemmte die Nase zusammen und mit einem herzhaften Ruck riss er dem Untier die Schlüssel aus dem Maule. Grunzend stürzte die Sau davon. Da stand aufs Mal das Waldmännlein wieder da, hustete und räusperte sich in seinen Bart und kicherte und lachte. Es zwinkerte mit den Äuglein und klopfte dem Burschen mit seinem Stecklein auf die Schulter. Dann spannte es sein seidenweißes Tüchlein wieder aus, und im Nu standen sie selbander vor dem Silberberge. Aber da war das Männlein schon wieder verschwunden.
Jetzt war guter Rat teuer. Denn die Fluh des Silberberges stieg glatt wie Glas empor, und nirgends war ein Tor zu sehen, nur Spalten, Klimsen und Ritzen. Vielleicht passt der Schlüssel in eines der Löcher, dachte der Geselle. Er probierte und da passte just der erste beste Schlüssel ins nächste Loch. Er drehte ihn dreimal um, und der Fels tat sich lautlos auf. Der Jüngling trat ein und kam in einen langen, schmalen Gang, daraus ein schwacher Schimmer drang. Er ging auf den Schein zu, und je weiter er vorwärts schritt, um so heller wurde es um ihn her, und die Wände begannen zu leuchten. Da endete der Gang, und er kam hinaus auf einen weiten überwölbten Platz, darin war ein kleines Seelein. Mehrere andere Gänge gingen von da aus strahlenartig nach allen Richtungen. Aber wie er genauer hinsah, gewahrte er, dass alles Gestein eitel Silber war, auch der Teich war aus flüssigem Silber, und rings träufelten aus dem Gewände und von dem Gewölbe Silbertropfen, und aus allen Klüften und Schlüften rieselten Silberbächlein in das Seelein, wie aus den Adern das Blut ins Herz sich ergießt.
Aufs Mal aber hüb es an zu flimmern und zu glimmern in den Mündungen aller Gänge, Schächte und Stollen, und getrippelt und getappelt kamen hustend und prustend, sich räuspernd, kichernd und lachend unzählige winzig kleine, langbärtige Erdmännlein mit Hämmern und Hauen. Sie hatten spitzige Mützen auf, und an den Mützen vorn über der Stirn waren Edelsteine befestigt, die leuchteten heller als Grubenlichter. Voller Mutwillen hüpfend und müpfend, kichernd und trällernd, wuselten und diselten sie dem Gesellen um die Beine und kribbelten zwischen den Füßen durch Ameisen gleich, so dass er ganz irr und wirr wurde von all dem Gewimmel. Plötzlich stellten sie sich in einer Reihe auf, ordneten sich zu einem Zug und liefen flink durch den hellsten Gang tiefer in den Berg hinein. Der Geselle besann sich nicht lange, sondern folgte ihnen hurtig nach. Denn es nahm ihn nach allem gar sehr wunder, wie's weiter innen aussehen möchte. Da aber war eine Pracht allenthalben an Wänden und Gewölben, es ist nicht zum sagen: Alles Gestein strahlte und funkelte in den mannigfaltigsten Farben, es leuchtete wie das Abendrot auf den Gletschern und Gipfeln, es schimmerte wie der Schnee der Firne und glänzte grün und blau wie Gletschereis. Der Jüngling aber musste die Augen schließen ob all dem Glanz. Und alle Wasser und Quellen sangen und klangen tief aus dem Herzen des Berges herauf wie ferne Musik. Ei, was mag's wohl da unten erst für Herrlichkeiten geben! - dachte der Geselle, strich sich die Locken aus dem Gesicht, nahm den Rubinring der Jungfrau aus dem Busen und steckte ihn auf seine Kappe, denn wie die Erdmännlein wollte auch er den Stein sich leuchten lassen und mit etwas Schönem sich zeigen in all der Pracht. Er stand und drehte die Mütze in den Händen, beschaute den Ring, und siehe, aus dem Rubinstein leuchtete wunderhold das Bild der Jungfrau, dass er vor Entzücken schier verging. Er küsste den Ring, drückte sich die Mütze wieder aufs Haar und eilte dem Zug der Erdmännlein nach.
Bald mündete der Gang aus, und vor ihm lagen weite, hohe Hallen, größer als die gröbste Kirche. In der Mitte war die Haupthalle und seitlich zwei Nebenhallen, die waren durch lange Reihen herrlicher Säulen getrennt. Die Schäfte der Säulen ruhten auf Sockeln von himmelblauem Saphir, und der Wulst gleißte wie flüssiges Rotgold. Die Schäfte waren aus purem Silber, sie schwollen nach der Mitte zu an und verjüngten sich nach oben. Die Häupter waren gebildet wie Feuerlilien, und darüber wölbten sich weitgespannte goldene Bogen und azurblaue Kuppeln, davon es strahlte und funkelte als wie von tausend Sternen und Sonnen. In der Tiefe der Haupthalle aber erhob sich über sieben steilen Stufen, die in den sieben Farben des Regenbogens glänzten, ein hoher, goldener Thron. Und auf dem Throne lag ein Kissen aus hellgrünem Sammet, und auf dem Kissen lag ein Ring mit einem leuchtenden Rubinstein, ganz dem Ringe gleich, der auf der Mütze des Jünglings prangte. Das war also der andere Ring, den er holen sollte.
Wie der Geselle durch die Halle auf den Thron zuschritt, hüb der ganze Bau zu tönen an von sanft rauschender Musik, und alle Säulen und Gewölbe klangen. Da wuselten aufs Mal von allen Ecken und Enden die Erdmännlein herbei und hüpften und sprangen, tanzten und sangen und trieben mutwillig ihr Spiel mit dem Burschen, der eben die ersten Stufen des Thrones hinanstieg, so dass ihm schier Hören und Sehen verging. Wie er auf der dritten Stufe stand, warf er das Haupt zurück, um besser nach dem Ring auf dem Kissen sehen zu können, da fiel ihm die Mütze, die ihm nur lose auf den Locken saß, rückwärts vom Kopfe mitsamt dem Ring. Er wandte sich um, dass er sie aufhebe. Aber da ward's mit einem Schlage nachtschwarz und totenstill um ihn her.
Der Jüngling fuhr aus dem Schlafe auf. Die Morgensonne schien golden durch die Baumwipfel, die Quellen und Bäche rauschten, und rundum im Walde zwitscherten die Vögel. Er aber saß unter derselben Tanne, unter der er sich am Abend zuvor niedergelegt hatte. Er wusch sich Gesicht und Augen frisch mit dem Morgentau und schaute in den hellen Tag und schüttelte den Kopf. Dann setzte er seine Mütze auf, zog ein Stück Brot aus dem Schnappsack, schoppte es in den Mund und nahm den Weg wieder unter die Füße. «Bei Gott», sagte er zu sich selber, «bei Gott, hinter mich schauen werd ich nimmermehr!»
Quelle: Schweizer Märchen, Sagen und Fenggengeschichten, hrg. von Curt Englert-Faye, Zbinden Verlag
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.