Weitverbreiteter Volksglaube behauptet, in der Heiligen Nacht, da unser Heiland im armen Stall geboren ward, erhielten die Haustiere die Gabe zu reden. Der Anlass zu dieser Auffassung mag darin seine Begründung haben, dass in der ersten Christnacht die unvernünftigen Tiere das Christkind beherbergten, während die vernunftbegabten Menschen es hartherzig von sich stiessen.
Ein Bauer nahm sich vor, dem Gespräche seiner Kühe zu lauschen. In der Christnacht schlich er auf den Heuboden. Dort stellte er sich an die Öffnung, durch welche im Winter das Heu in die Futterkrippe hinabgeworfen wird. Da hörte er auf einmal im Stalle eine Stimme fragen: „Wo ist der Bauer?“ „Auf dem Heuboden“, antwortete eine zweite. Die dritte fuhr wehmütig fort: „Noch diese Woche muss ich ihn auf den Friedhof führen.“ Es war das treue Pferd, das so sprach. Dem Bauer gab es einen Stich ins Herz. Ohnmächtig fanden ihn seine Knechte am nächsten Morgen auf dem Boden und legten ihn ins Bett. Drei Tage später verschied der Kranke, nachdem er noch den Seinigen das Gespräch der Tiere mitgeteilt hatte.
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Einem andern Bauer erging es besser. Er schlich sich in der Heiligen Nacht hinaus in die Futtertenne. Um Mitternacht, als es im Dorfe zur Christmette läutete, hielt er das rechte Ohr an ein Astloch der Bretterwand, welche Tenn und Stall trennte. Hier bekam er alsbald Merkwürdiges zu hören. Die Blesskuh begann: „Wenn unser Bauer wüsste, welches Glück ihm bevorsteht!“ Die Schwarzscheckige fragte: „Was für eins?“ Die andere gab zur Antwort: „Im Mai bekommt er den Stammhalter, nach dem er sich schon lange sehnt.“ Und der Hahn krähte: „Ich weiss auch etwas. Drunten in der Wiese liegt ein Schatz.“ Hinten im Verschlag meckerte die Ziege: „Wenn die Bäuerin wüsste, welchen Weg ihre Eier und ihre Butter nehmen!“ - „Wohin gehn sie denn?“ fragte neugierig ein Schaf. „Die Eier verkauft die Köchin heimlich und kauft sich dafür schöne Kleider“, erwiderte die altkluge Ziege und schüttelte dabei unwillig ihren braunen Kinnbart. „Die Butter nimmt der Knecht und bringt sie sonntags seinen Geschwistern. Mit dem Erlös kauft er sich Tabak und Branntwein.“
Der horchende Bauer hatte genug und nahm sich das Gehörte zu Herzen. Er sagte keinem Menschen ein Sterbenswörtlein davon, nicht einmal seiner Frau. Nach den Feiertagen aber wunderten sich die Dienstboten, warum wohl der Bauer auf einmal so neugierig im Stall und in der Küche herumspürte.
Als das Frühjahr anbrach, nahm der Bauer Spaten und Hacke und grub in seiner Wiese nach. Sein Suchen blieb nicht ohne Erfolg. Im sumpfigen Boden stak ein Meter tief eine blecherne Schachtel. Als er sie öffnete, waren lauter Taler und Gulden darin, die dem Schatzgräber halfen, seine Schulden zu bezahlen. Den Schatz hatte ein Vorfahre in den Franzosenkriegen aus Furcht vor Raub in diesen sicheren Gewahrsam gebracht.
Als im Mai die Kirschbäume blühten, klapperte eines Morgens Gevatter Storch über dem Bauernhause. Drinnen im blumenbemalten Bauernbett lächelte glücklich die Bäuerin, denn in ihren Armen lallte ein kräftiges Büblein seine ersten Laute in die Welt. Da konnte sich der Vater vor Freude nicht mehr halten. Er erzählte der staunenden Frau, was er schon seit der letzten Christnacht gewusst.
Die Blesskuh und die Schwarzscheck, kurzum alle Haustiere, hatten sich in der Folge nicht zu beklagen. Sie wurden von ihrem Herrn gut gefüttert und behandelt. Nur die alte Geiss brummte etwas Unverständliches in ihren Bart, wenn der kleine Franzeli sie zu arg an ihren zottigen Haaren riss oder sich an ihre Hörner hing.
P. Nikolaus Bongard
Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch