So heisst im Volksmunde noch heute das kleinste Glöcklein im Brienzer Kirchturm. Beim Zusammenläuten zum sonntagvormittäglichen Kirchgang singt es gar fein, fast schüchtern, die erste Stimme, und wenn eine Kindsleiche in die Erde zu legen ist, mahnt es hell und klar über Dorf und See hinweg an die Vergänglichkeit alles Irdischen.
Nicht immer hing das Glöcklein im selben Glockenstuhl. Es gab eine Zeit, und Jahrhunderte sind seither vergangen, da kurz untenher der Planalp am Wege eine Kapelle stand, von deren Türmchen aus es die Planalper zum frommen Gebete und zu brüderlicher Hilfe in Not und Drangsal zusammenrief. Ein seltsames Läuten muss das gewesen sein, wenn des Glöckleins hohe Stimme vom Berghang weit über das Tal hinaus über die Alpweiden hin tönte und hoch aus den Flühen der „Ursere“ das Echo erklang.
„Im Martis“ heisst heute noch der Ort und „Chapellenboden“ der Fleck Erde, auf dem die Kapelle stand. Sie war, wie der Name sagt, dem Heiligen Martin geweiht, dem wundertätigen Tröster der Betrübten, und selbstlosen Helfer der Armen. Ihr erstes Glöcklein, ein silbernes war’s, hatten die Unterwaldner auf einem ihrer Raubzüge aus dem Türmchen gehängt und über das Rothorn und die Alp Eisee in ihre Heimat verschleppt. Als später die Stürme der Reformation über das Land gingen, haben diese wohl auch die Martinskapelle auf der Planalp weggefegt bis an das Martinsglöcklein, das heute im Kirchturm zu Brienz, wie damals, hellauf ins Land hinaus klingt.
Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch