D’Stummli u d’Schlange
E Bur het es Stummli gha, wo all Tag mit dr War uf d’Weid isch. Dr Bur het’s düecht, das gang au gar lang, bis es de albe ume zrugg sig. Uf dr Weid isch es Weierli gsi u derbi e höhe Erlebaum. Du isch dr Bur uf e Baum uehegchläderet, für z’luege, was do göih.
D’Stummli isch mit dr War cho, u nid wit vom Erlebaum go lige. Nid lang derno isch ihm e Schlange zum Mul usecho; uf ene Stei het sie ’s Gift abgleit. Drufabe isch schie i ’s Weierli go bade. Nome Chehrli isch schie zruggcho, het ’s Gift gno u isch em Meitli zum Mul ihe. Du isch ’s Meitli erwachet u gäge hei.
Drufabe hei ihrere e paar em Meitli abglusset u hei dr Schlange wölle ’s Gift näh, wo sie im Weierli badet het. Aber die het si grüseli gwehrt, u ’s het e wüeschti Sach gä.
In der Sage vom stummen Mädchen und der Schlange erkennen wir deutliche Verfallserscheinungen. Ihr Inhalt beruht auf verschiedenen Vorstellungen und lässt sich im wesentlichen aus zwei Quellen herleiten. Die Schlange, welche dem Mädchen während des Schlafes entflieht, ist nichts anderes als die Seele, welche sich auf die Wanderung begibt und wieder in den Leib zurückkehrt. Die Schlange kommt wie die Maus recht häufig als Seelentier vor.
Aber mit der Sage von der Schlange als Seelentier verknüpft sich eigentlich recht lose die selbständige Geschichte von einer Schlange, die eine goldene Krone trägt. Einzelne Sagen erzählen von einem Schlangenkönig, der das Krönchen ablegt und ins Wasser geht, um zu baden. Menschen beobachten ihn und versuchen, das Krönlein zu rauben. Aber das Wagnis gelingt ihnen selten; denn der Schlangenkönig oder eine Schar Schlangen verfolgen die Räuber. Unsere Fassung vermochte einen wichtigen Bestandteil der ursprünglichen Sage nicht mehr festzuhalten; sie erzählt von Gift, statt von einem Krönchen, und besonders der Schluss befriedigt nicht, weil Einzelheiten fehlen.
M. Sooder, Sagen aus Rohrbach, Huttwil 1929
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.