Der Möttelischatz
Vor etwa hundert Jahren war einmal eine Bauernfamilie damit beschäftig, in einem Acker beim Weiler Altburg in der Gemeinde Regensdorf mit Sicheln das reife Korn zu schneiden und in Garben zu binden. Es ging schon gegen Abend, als am Himmel schwere Gewitterwolken aufstiegen weshalb die Leute ihre Arbeit noch rasch beenden wollten. Das letzte Glas Most wurde ausgetrunken, und dann begaben sich alle wieder an ihre Plätze. Langsam brach die Dämmerung herein. Vom nahen Katzensee her verbreitete sich ein feiner Nebeldunst; die Sonne ging hinter dem Altberg unter und überliess die Beleuchtung dem aufsteigenden Mond, in dessen fahlem Schein die Ruine der alten Freiherrenburg gespenstisch aus der dunklen Umgebung der Wälder emporragte. Von Regensdorf herüber erklangen die friedlichen Töne des Betzeitglöckleins; aber immer noch wurde nicht Feierabend gemacht. Plötzlich schrie die am Ende der Reihe arbeitende Magd kreischend auf. Alle rannten herbei und befragten sie nach der Ursache ihrer Angst, worauf sie erklärt haben soll, sie hätte am Waldrand drüben eine weisse Gestalt gesehen, die sich hin und her bewegt und in einem fort „däi niid, däi niid! (dort nicht!)“ gerufen habe, jetzt aber wieder verschwunden sei. Der Bauer versuchte sie zu beruhigen und sagte, vielleicht habe der zwischen den Wolken hervorscheinende Mond vorübergehend ein paar Baumstämme grell beleuchtet, und die Rufe seien wohl diejenigen eines Käuzchens. Der Grossvater aber meinte, das könnte doch der Geist des alten Mötteli gewesen sein, von dem er schon allerlei gehört habe. Dieser Mötteli sei der letzte hiesige Burgherr gewesen, habe aber wegen Händeln mit den Zürchern seinen Sitz verlassen müssen und dann noch rasch eine grosse Menge von Münzen und anderen Wertsachen im Boden versorgt. Nun gehe sein Geist immer noch um und verscheuche die Leute, die an jener Stelle seinen Schatz wieder ausgraben möchten oder auch nur in die Nähe kommen.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Unterland
Wörtlich aus Hedinger, S. 3. Seine Quelle: persönliche Mitteilung.
Vor etwa 1870 verwendete man bei der Getreideernte allgemein noch die Sicheln. Die Kornernte wurde in Notfällen wirklich oft bis zur Dämmerung fortgesetzt, da und dort sogar bei Mondschein oder Laternenbeleuchtung bis in die Nacht hinein. So gibt es denn auch Berichte, wonach übereifrige oder geizige Bauern durch Geister von solcher Nachtarbeit vertrieben wurden, was vielleicht zum Sinn dieser Sage gehört.
Die erwähnteBurg ist der Stammsitz der Freiherren von Regensberg. Sie wurde ums Jahr 1000 herum erbaut und bis etwa 1245 von fünf nahmhaften Vertretern dieses Geschlechtes bewohnt. Dann teilte es sich in eine jüngere, nun in Schloss und Städtchen Neu-Regnsberg an der Lägern residierende Linie und in eine ältere, die weiterhin in der Burg Alt-Regensberg verblieb. Da hauste z. B. jener gewalttätige Lütold VI., der zusammen mit seinem Bruder Ulrich I. Anno 1267 gegen den Grafen Rudolf von Habsburg und die Zürcher einen Krieg führte, in dem die Freiherren aber besiegt wurden.
Über den alten Mötteli sei kurz das Folgende berichtet: Nach dem Aussterben des Freiherrengeschlechtes kam dessen Burg an die Edlen von Landenberg-Greifensee, an den Zürcher Johannes Schwend und 1548 an den international bekannten Grosskaufmann Rudolf Mötteli aus Ravensburg, der sich nun in Zürich einbürgerte. Er war so unermesslich reich, dass man noch bis in die Neuzeit hinein im ganzen Tal von einem verschwenderischen Mitbürger sagte, er vergeude sein Geld, als hätte er Möttelis Gut. Er renovierte die 1443 von den Eidgenossen im Zürichkrieg zerstörte Burg mit grossen Kosten. Wegen allerlei Händeln verzichtete er 1463 auf das Bürgerrecht in Zürich und nahm dasjenige von Luzern an. Über den Verkauf des Schlosses kam es zu einem Prozess, den Mötteli verlor. Er musste die Burg weit unter dem Preis an Zürich abtreten und verliess sie etwas übereilig. Es wäre durchaus möglich gewesen, dass er hier einen Teil seines Vermögens vergraben hätte, um diese Schätze in späteren, besseren Zeiten wieder hervorzuholen.
Möttelis Schreckruf ist sprachgeschichtlich interessant, den die in der Sage genau überlieferte Form „däi niid“ hat sich hier nicht erhalten; heute sagt man in Regensdorf „deet nüüd“. Diese Angaben nach Hedinger, S. 3.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.