Nachdem der heilige Georgius, von den Arianern um Mitte des vierten Jahrhunderts vertrieben und verfolgt, über die Alpen flüchtete, soll er im alten Rätien Schutz und Aufnahme gefunden, mehrere Jahre in unserm Lande gelebt haben, und für die Ausbreitung des Christentums besonders tätig gewesen sein. - Viele Gemeinden des heutigen Graubündens verehren ihn als Kirchenpatron, ja sogar ist sein Andenken in vielen Kirchen- und Gemeinden-, selbst in Gerichtssiegeln geblieben, bis auf den heutigen Tag. - Sowohl er selber, als auch nachher seine Reliquien sollen Wunder bewirkt haben.
Wie nun St. Georgius unter dem Schutze der Bekehrten segensreich wirkte und keiner weitern Verfolgung seiner ehemaligen Feinde des Christentums wähnte, hatten diese den Zufluchtsort des Heiligen erspürt und einen Trupp Bewaffnete über die Gebirge abgesendet, ihn aufzufangen und lebendig zurück zu bringen. Das ging nun nicht leicht, denn der mächtige Graf in Ober-Rätien hatte ihn in Schutz und Schirm genommen. Dessen ungeachtet lauert die arge Rotte lange Zelt, ihn zu langen, wenn er ausging, das Evangelium zu predigen. So war der Heilige einstens auf dem Missionswege von Amides (Ems) nach Val Tomiliasca, (Domleschg) begriffen, und ritt den Pfad den finstern Brühl-Wald hin, als er plötzlich hinter sich die längst gefürchteten Widersacher, hoch zu Ross heransprengend, erkannte. - Er gab seinem Rösslein die Sporen, und das gute Tier, das an Grösse den Gäulen der Bösewichte bedeutend zurückstand, ward wie von unsichtbarer Hand gestärkt und blieb lange Zeit den Andern voran, bis dass endlich doch die Verfolger ganz nahe waren. - Da, wo heute der Kapelle des heiligen Georg bei Räzüns dem Rheine gegenüber, eine schroffe Felswand himmelan steigt, - setzte St. Georg\'s Tierlein an, und - rettete durch einen Sprung seinen Gebieter und sich an\'s andere Ufer hinüber; zwar waren vom heftigen Anpralle sämmtliche vier Hufeisen ihm losgerissen, aber es wieherte fröhlich; es hatte seinen Herrn dem sichern Tode entrissen.
Die vier Hufeisen aber sind lange Zeit von dem Herrn im Schlosse zu Räzüns als Reliquie aufbewahrt worden, und hängen nunmehr als Gedenkzeichen an die wunderbare Rettung an der Pforte der Kirche bei Räzüns, welche eben den heiligen Georg zum Kirchenpatrone hat. Zudem führt noch heute auch der Kreis Räzüns den St. Georg in verschiedenen Siegeln.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.