Lucius, König von Britannien, verliess Scepter und Krone und Vaterland, um, dem innern Drange folgend, den Heiden auf dem Festlande das Evangelium zu predigen. Er kam nach Langem in die alte Stadt Augsburg, wo er aber um Christi Willen grossen Lebensgefahren sich aussetzte; er musste flüchten und nahm von dort aus den Weg nach Oberrätien. So gelangte er nach vielen Mühsalen und Verfolgungen über die bekannte Luzien-Steig oberhalb der ehemaligen römischen Station »Majae-villa« (Mayenfeld), in unserm heutigen Bünden an. Im Steigwalde traf er eine arme Frau, die keuchend ein mit Holz beladenes Wägelchen bergan zog. Der fromme Mann erbarmte sich ihrer und spannte einen stets ihn begleitenden Bären vor das Wägelein.
Das Ziel seiner weiten und mühevollen Reise erkannte er in der Nähe der alten Curia Raetorum. Am Abhange des Mittenberges, unweit des römischen Castrums, fand der bejahrte Pilger eine kleine, etwas entlegene, aber geschützte Ruhestätte unter einem überhängenden Felsen, in einer Grotte im Waldesdunkel, welche seither unter dem Namen St. Luzi us Löchlein bekannt ist. - Von dort aus unternahm der Heilige seine Missionsgänge, predigte den Heiden in der Umgegend, taufte und bekehrte sie. - (Jetzt steht in der Felsenhöhle eine ihm geweihte Kapelle.)
Emerita, seine königliche Schwester, vom gleichen Geiste beseelt und geleitet, ergriff ebenfalls den Wanderstab, um ihren Bruder Lucius aufzusuchen und in seinem Missionswerke ihn zu unterstützen. - Zu Curia trafen sich die Geschwister, predigten und bekehrten gemeinsam oder einzeln.
Bei einer solchen Mission wurde sie zu Trimons (Trimmis) von den Heiden ergriffen und zum Feuertode verurteilt. - Solche, die sie bekehrt hatte, sammelten die Asche der Glaubensheldin. - Auf dem Platze, wo sie den Märtyrertod erlitten, wurde späterhin zu ihrem Andenken die Pfarrkirche von Trimmis erbaut. - Ihr Bruder Lucius überlebte sie.
»Dieser führte einst«, so sagt die Legende weiter, »auf einem mit einem Ochsen und einem Bären bespannten Wagen auf Trimmiser Gebiet Holz. Die Heiden blieben nicht dabei stehen, ihn zu höhnen, sondern warfen ihn, als er das Christentum verkündigte, wilden Tieren in einer Grube vor, nachdem seine Schwester Emerita bereits auf ähnliche Weise ihren Tod gefunden hatte. Aber die wilden Tiere schonten Seiner, worauf eine schöne Anzahl Heiden, göttliche Vorsehung gewahrend, sich taufen liessen.
Der heilige Lucius aber bat den Herrn der Heerschaaren um der Heiden Erleuchtung, wünschte ihnen aber doch zugleich bei dieser Gelegenheit als stete Warnung und gleichsam als Andenken an ihre Verstocktheit die in der Gegend einheimisch gewesenen Kröpfe an den Hals.
Der Glaubensbote Lucius erlitt den Märtyrertod auf dem Turme Marsöl zu Chur, und zwar auf Befehl des Appius Claudius Lateranus, damals regierenden (um 187-193) Statthalters in Oberrätien.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.