In Rain zu Wisserlen lebte einst ein braver Ratsherr, dessen Frau eine Hexe war. Unten im Keller hatte sie ihr Vorratsmagazin von Salbenfläschchen, Zauberstäbchen, Pulvern und Giften; dahin begab sie sich nachts, nachdem sie dem Manne einen Besen in's Bett gelegt hatte und rüstete sich hier zur nächtlichen Fahrt auf den Tanzplatz. Nun geschah es aber, dass alles, was im Rate verhandelt wurde, jedes Mal schon überall bekannt war, ehe die Ratsherren nach Hause gingen. Man forschte nach und erkannte, dass eine Hexe dabei im Spiele sei. Jeder Ratsherr wurde hierauf ermahnt, auf seine Frau wohl Acht zu geben.
Unser Ratsherr stellte sich nun in der nächsten Nacht, als ob er schlafe, hielt aber fortwährend die Augen ein wenig offen, um seine Frau beobachten zu können. So um elf Uhr herum erhob sich diese und legte den Besen in's Bett. Der Mann merkte es, sagte aber nichts, hierauf schlich sich die Hexe hinaus und in den Keller; er nach. Drunten nahm sie eines der Fläschchen, bestrich mit der Flüssigkeit das Zauberstäbchen, indem sie die Formel aussprach: „Unnä uis und nienä a", die Zeit beifügte, wann sie zurückkehren wolle und den Ort (auf den Boll) wohin sie wolle. Kaum hatte sie das gesagt, so verschwand sie auf dem Stäbchen reitend in den Lüften.
Der Ratsherr wollte das Gleiche tun, trat hinzu und verrichtete alles, wie seine Frau zuvor, nur dass er bemerkte: «Unnä uis und obä uis und überall a».
Das hatte aber eine schlechte Wirkung. Der Ratsherr flog empor, schlug sich den Kopf an allen Wänden an, bis er endlich die Worte aussprach, wodurch seine Frau soeben entkommen war. Nun gelangte auch er auf den Hexentanz und konnte in Musse beobachten, wie sich seine Frau dem Teufel verschrieb. Da belauschte er auch die nächtlichen Orgien des Satans und seiner Diener. Splitternackt tanzten die Hexen und Hexenmeister alle um den ziegengestaltigen Gottseibeiuns.
Glücklicherweise hatte der Ratsherr die Stunde seiner Rückkunft früher angesetzt, als die Hexe und lag daher schon wieder im Bette, als seine Frau heimkehrte.
Der Ratsherr wusste genug, zeigte seine Frau an und erbot sich, die Hexe selbst nach Sarnen zu führen. Das war nun keine leichte Sache; denn eine Hexe kann man nicht fassen, solange sie den Erdboden berührt. Der Ratsherr gebrauchte also eine List; er lud ein Fuder Holz und sagte zur Frau, er wolle das in Sarnen verkaufen, sie könne mit ihm kommen und den Stoff zu einem Kleide gleich selbst auswählen. Die Frau, hoffärtig wie alle andern, setzte sich oben auf und liess sich sogar von ihrem Ehemann anbinden, der ihr sagte, sie könnte sonst herabfallen.
Als sie in Sarnen anlangten war eine grosse Menge Volkes versammelt; augenblicklich wurde das Holz unter grossem Jubel in Brand gesteckt. Da trat ein altes Mütterchen hinzu und legte eine Reiswelle zum Scheiterhaufen bei und schürte das Feuer. Als das die Hexe sah, sprach sie: „Wie, auch diese, die selber die grösste Hexe im Lande ist, ärger als alle andern".
Und wie das Volk das hörte, ergriff man das Weiblein und warf es auf den flammenden Holzstoss. Als seine Kleider schon fast verbrannt waren, lachte die Ratsherrenfrau und sprach, sie habe vorhin gelogen und habe es nun so weit gebracht, dass man die frömmste und die rechtschaffenste Frau im Obwaldnerland mit ihr verbrenne. Man nahm nun schnell das Mütterchen herunter, es war aber zu spät. Innert wenigen Tagen erlag es den Brandwunden Die Ratsherrenfrau aber wurde zu Pulver und Asche verbrannt.
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch