Die drei Götterkinder, die Sonne, der Mond und der Hahn, lebten vor langer, langer Zeit einträchtig zusammen im Himmel. Die Sonne und der Hahn hatten einander sehr lieb, und niemals gab es einen Streit zwischen ihnen. Der Mond aber konnte den Hahn nicht leiden und darum neckte und quälte er ihn auch, wann und wo immer er nur konnte.
Als nun einmal die Sonne gerade unterwegs war, um der Erde zu leuchten, liess sich der Mond vom Hahn bedienen. Aber wie sehr sich der Hahn auch Mühe gab, an allem nörgelte der Mond herum. Und schliesslich packte er voller Wut den Hahn, zerzauste ihm alle Federn und warf ihn vom Himmel auf die Erde hinunter. Als die Sonne heimkam, sah sie betrübt, was geschehen war, und da sie die Älteste war, musste sie den Frieden wiederherstellen. Lange dachte sie nach, dann rief sie den Mond zu sich und sagte zu ihm: „Wir drei können nicht länger zusammenleben. Ich hätte keine ruhige Minute mehr, wenn ich unterwegs bin, um der Erde zu leuchten, und euch allein beisammen wüsste. Deshalb werden in Zukunft der Hahn und ich immer am Tage zusammen unterwegs sein, und du magst dann in der Nacht deinen Weg am Himmel gehen. So vermeiden wir das Hässlichste und Traurigste, was es in der Welt gibt: den Zank und den Streit."
Und so, wie die Sonne es gesagt hatte, geschah es auch. Seitdem weckt der kleine Hahn an jedem Morgen - ihr könnt es hören - mit seinem hellen Kikeriki die grosse Sonne auf, und sie verbringen dann den Tag miteinander. Die Sonne hoch oben am Himmel und der Hahn tief unten auf der Erde. Und erst am Abend, wenn die Sonne in den Himmel zurückkehrt und der Hahn in seinen Stall, dann steigt der Mond am Horizont auf und beginnt seine einsame Herrschaft über das Reich der Nacht und der Sterne.
Aus: Kindermärchen für Gross und Klein, Mutabor Verlag, www.maerchenstifung.ch
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch