Es gab eine Zeit, wo alle jene starren Felsen, Gletscher und Eismeere sonnige Triften waren, auf denen das fetteste Gras und der saftigste Klee wucherte. Keine Giftblumen waren damals vorhanden, jede Blume war dem Vieh gedeihlich, so dass die Kühe und Ziegen dreimal des Tages gemolken werden mussten. Diese Zeit war das goldene Zeitalter der Alpen. Von ihm erzählen die Sennen und Hirten:
Damals waren die Kühe von ungeheurer Grösse; sie hatten einen solchen Ueberfluss an Milch, dass man sie in weite Gräben melken musste, welche sehr bald gefüllt waren. In Nachen fuhr man aus, um den Rahm von diesen Bassins abzuschöpfen. Eines Morgens verrichtete ein junger, schöner Hirte diese Arbeit, da plötzlich warf ein Windstoss das Fahrzeug um, der Unglückliche ertrank. Die Jünglinge und Jungfrauen des Tales betrauerten sein trauriges Ende und lange Zeit suchten sie seine Leiche, um sie zu bestatten, aber vergebens. Erst nach einigen Tagen, als man die Butter schlug, fand sie sich in der Mitte der Wellen eines schäumenden Rahms. Vor Freude weinend, bezeugten die Sennen dem Manne Gottes ihren Dank, und aus Erkenntlichkeit für den geleisteten grossen Dienst gelobten sie, jährlich von ihrer Alp einen schweren, fetten Käse im Kloster Altenryf auf dem Altare des heiligen Bernhards zu opfern. Zum Zeichen, dass beides, Wunder und Gelübde, wahr sei, drückte der Mönch seinen rechten Fuss auf einen nahen Block von Kalkstein, wo heutzutage noch der Mönchstritt zu sehen ist.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen, Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch